L. W.? – – – L. W.!

Wittgenstein als Street Art. Quelle: reified.typepad.com

Ein Glossar zentraler Begriffe der Philosophie
Ludwig Wittgensteins (1889-1951)

Online seit 2002-06-09

Ästhetik
Ethik
Familienähnlichkeit
Gewissheit
Grammatik
Ich
Lebensform
Logik
Regeln
Religion
Solipsismus
Sprachspiel
Unsinn
Ästhetik
Wittgenstein als Architekt: Wohnhaus in Wien 1926-28 «Wissenschaftliche Fragen können mich interessieren, aber nie wirklich fesseln. Das tun für mich nur begriffliche und ästhetische Fragen.» - Wie die Logik ist auch die Ästhetik mit dem beschäftigt, was nicht anders sein kann, nicht etwa mit kontingenten Tatsachen. Aus diesem Grunde kann sie nicht in wahren oder falschen Sätzen ausgedrückt, sondern nur gezeigt werden. Die Ästhetik hat eine transzendentale Qualität, ihre Werte liegen außerhalb der Welt. Grundlage der Ästhetik ist das Staunen darüber, dass die Welt existiert, nicht, wie es sich in ihr verhält. Dieses Staunen hat den Charakter einer mystischen Erfahrung. Der ästhetische Blick bedeutet, «die Welt mit einem glücklichen Auge anzuschauen», d. h., Tatsachen, die dem Willen nicht unterworfen sind, gleichmütig hinzunehmen. «Das Kunstwerk ist der Gegenstand sub specie aeternitatis [im Angesicht der Ewigkeit] gesehen». - Wittgenstein versucht, den Begriff der Ästhetik von den Missverständnissen der Tradition zu befreien. Ausdrücke wie "schön" oder "hässlich" taugen nicht zur profunden Beschreibung eines Kunstwerks. Es geht nicht darum, ein Kunstwerk zu mögen oder nicht zu mögen, es geht darum, es zu verstehen und charakterisieren zu können. Die Bewertung eines Kunstwerks ist seine Beschreibung als "richtig" oder "unrichtig", d. h. bestimmten Maßstäben näher oder entfernter. Es existieren allerdings auch Kunstwerke, die ihre eigenen Maßstäbe setzen. Diese beschreibt man dann besser wie ein Naturphänomen (von "außen"). - Empfindungen wie Vergnügen oder Unwohlsein sind Grundlage der ästhetischen Bewertung. Die sprachlichen Ausdrucksformen der Wertschätzung sind zweitrangig. Wichtiger ist es, darauf zu achten, wie und bei welchen Gelegenheiten sie gebraucht werden. Zunächst: In welche Tätigkeiten sind diese Gelegenheiten, weiterhin: in welche bestimmte Kultur sind diese Tätigkeiten, schließlich: in welche Lebensform ist diese bestimmte Kultur eingebettet? - Ästhetische Begriffe wie "Kunst" oder "Kunstwerk" sind Familienähnlichkeitsbegriffe, sie lassen sich nicht analytisch definieren (d. h. es gibt keine Bedingungen, die für sich notwendig und zusammen hinreichend wären für die Anwendung dieser Ausdrücke). Familienähnlichkeit bedeutet, dass die Gebrauchsarten der ästhetischen Begriffe in vielfältiger Weise miteinander verbunden sind, durch «ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen». - «Wenn etwa jemand sagt, 'A's Augen haben einen schöneren Ausdruck als B's', so will ich sagen, dass er mit dem Wort 'schön' gewiss nicht dasjenige meint, was allem, was wir schön nennen, gemeinsam ist. Vielmehr spielt er ein Spiel von ganz geringem Umfang mit diesem Wort.»

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Ethik
Versteht man unter Ethik traditionell die Lehre vom sittlichen Wollen und Handeln des Menschen in verschiedenen Lebenssituationen, so gibt es keine Wittgenstein'sche Ethik. Im Tractatus heißt es lapidar: «Darum kann es auch keine Sätze der Ethik geben.» Punkt. Und weiter (nicht viel besser): «Es ist klar, dass sich die Ethik nicht aussprechen lässt. Die Ethik ist transzendental. [...] Der erste Gedanke bei der Aufstellung eines ethischen Gesetzes von der Form "Du sollst..." ist: Und was dann, wenn ich es nicht tue? Es ist aber klar, dass die Ethik nichts mit Strafe und Lohn im gewöhnlichen Sinn zu tun hat. Also muss diese Frage nach den Folgen einer Handlung belanglos sein. [...]» Weiterhin: «Vom Willen als dem Träger des Ethischen kann nicht gesprochen werden. (...) Wenn das gute oder böse Wollen die Welt ändert, so kann es nur die Grenzen der Welt ändern, nicht die Tatsachen (...). Kurz, die Welt muss dann dadurch überhaupt eine andere werden. Sie muss sozusagen als Ganzes abnehmen oder zunehmen. Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen.» - Ethischer Wert offenbart sich nicht im sinnvollen Satz, sondern in Handlungen, Einstellungen und Kunstwerken. Gut sein heißt glücklich sein, schlecht sein heißt unglücklich sein. Im guten oder bösen Wollen ändert sich die Stellungnahme des Subjekts zur Welt, welches nicht anders kann, als sich ohnmächtig deren So-Sein auszusetzen. - 1929 nennt Wittgenstein in einem Vortrag über Ethik drei persönliche Erfahrungen oder besser, Ur-Szenen, auf denen sich diese Anschauungen gründen:
  1. Staunen «Wenn ich mich nun darauf konzentrieren möchte, was ich unter absolutem ... Wert verstehe [...] geschieht es mir ... immer wieder, dass mir die Vorstellung eines ganz bestimmten Erlebnisses in den Sinn kommt, und das ist daher gewissermaßen mein Erlebnis par excellence, weshalb ich jetzt, indem ich zu ihnen spreche, dieses Erlebnis als mein erstes und wichtigstes Beispiel anführen werde. [...] Am ehesten läßt sich dieses Erlebnis ... mit den Worten beschreiben, dass ich, ... über die Existenz der Welt staune
  2. Sicherheit «Dies könnte man das Erlebnis der absoluten Sicherheit nennen. Damit meine ich den Bewusstseinszustand, in dem man zu sagen neigt: "Ich bin in Sicherheit, nichts kann mir weh tun, egal, was passiert."»
  3. Schuld «Ein drittes Erlebnis der gleichen Art ist das des Schuldgefühls, und dies wiederum hat man mit der Formulierung gekennzeichnet, Gott missbillige unser Benehmen.»
Erstaunlich, dass in zwei dieser Ur-Szenen der Andere, das Gegenüber, gar nicht, in der dritten lediglich indirekt vorkommt. Es ist nur schwer vorstellbar, wie aus derart egozentrischen Kontemplationen Leitsätze für ethisches Verhalten gewonnen werden können. Dennoch ist Wittgensteins Aufrichtigkeit zu bewundern, mit der er uns diese kindlichen Ur-Erfahrungen mitteilt. Tatsächlich wollte der frühe Wittgenstein die Ethik ganz auf mystische (besser: mysteriöse) Einstellungen des solipsistischen Subjekts gründen. Das dies eine Sackgasse war, erkannte er später selber. Salopp gesprochen: Wittgenstein sah, dass er nicht allein auf der Welt war. Da gab es noch andere menschliche Wesen, deren Bedürfnisse, Handlungen und Ansichten in Betracht zu ziehen waren. Er blieb jedoch bei seiner Weigerung, ethische Wertschätzung inhaltlich zu beschreiben. Doch seine Begründung änderte sich: der Grund der Unbeschreibbarkeit liegt jetzt im Kontextualismus. Ethische Urteile drücken die Gründe aus, aus denen wir handeln, und können nur innerhalb eines Systems, wie z. B. der Religion, gerechtfertigt werden. Diese Systeme sind autonom wie die Grammatik: Jedes setzt seine eigenen Maßstäbe der Rechtfertigung. Das hat jedoch die unangenehme Folge der Inkommensurabilität: da ein bestimmtes ethisches Urteil zu fällen heißt, ein bestimmtes Gerüst (framework) des Handelns und der Rechtfertigung anzunehmen, welches selbst nicht gerechtfertigt werden kann, ist es nicht sinnvoll, nach der Richtigkeit oder gar Höherwertigkeit der einen über die andere Ethik zu fragen. - Ich kann an dieser Stelle der Versuchung nicht widerstehen, eine (vielleicht vulgärpsychologische) Bemerkung zur Homosexualität Wittgensteins anzufügen. Spiegelt der Wandel seiner ethischen Ansichten nicht exakt die Geschichte des Umgangs mit seiner Homosexualität wieder? Wittgensteines frühe, solipsistische Ethik taugt doch ganz hervorragend als Verhaltensbeschreibung der Lehr- und Wanderjahre, in denen der Philosoph nach allem, was bekannt ist, sexuell recht enthaltsam war und sich oft (freiwillig) in gesellschaftlichen Kreisen der k. u. k. Monarchie bewegte, die ihm seiner Herkunft nach völlig fremd waren (einfache Soldaten, Bauernkinder) und unter deren Unbildung und Grobheit er Höllenqualen litt (oder sich einfach langweilte), während die zweite, kontextualistische und relativistische Ethik, gut zum doch recht angenehmen Akademikerdasein in merry old England passt, welches der Philosoph seit den 1930er Jahren führte. Er bekannte sich zwar auch hier nicht offen zu seiner Zuneigung zum eigenen Geschlecht, hatte aber wohl Beziehungen zu Männern, die über 'Männerfreundschaft' weit hinausgingen. Darüber hinaus war er von Menschen (d. h. fast immer: Männern) umgeben, deren intellekuellen und gesellschaftlichen Rang er respektieren konnte.

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Familienähnlichkeit
Nach allgemeiner Ansicht, die, in leicht abgewandelter Form, auch der frühe Wittgenstein teilt, muss allen Anwendungen eines Begriffs irgendetwas gemeinsam sein, damit sie unter ihn fallen. Anders gesagt: Die einzig angemessene Erklärung eines Wortes liegt in einer Definition, die notwendige und hinreichende Bedingungen für seine Anwendung gibt.
Gegen diese subsumierende, "naturwissenschaftliche" Art der Begriffsanalyse läuft der späte Wittgenstein Sturm: «Philosophen haben ständig die naturwissenschaftliche Methode vor Augen und sind in unwiderstehlicher Versuchung, Fragen nach der Art der Naturwissenschaften zu stellen und zu beantworten. Diese Tendenz ist die eigentliche Quelle der Metaphysik und führt den Philosophen in vollständiges Dunkel. Ich möchte hier sagen, dass es niemals unser Anliegen sein kann, irgendetwas auf irgendetwas zurückzuführen.»
Wittgenstein analysiert Begriffe stattdessen oft indirekt durch Beispiele ihres Gebrauchs. Diese Methode sucht nicht, wie oben beschrieben, nach dem Wesen des Begriffs, sondern arbeitet mit etwas, was Wittgenstein die "Familienähnlichkeit" von Begriffen oder Gegenständen nennt.
«Wenn ich in allen diesen Fällen das Wort "Verstehen" gebrauche, so muss also in allen etwas Gleiches geschehen, welches eben das Wesentliche des Verstehens ... ist. [...] Dieses Argument geht aus der Auffassung hervor, dass es das Gemeinsame der Vorgänge ... ist, welches ihre Charakterisierung durch ein gemeinsames Begriffswort rechtfertigen muss. Diese Auffassung ist ... zu primitiv. Was das Begriffswort zeigt, ist allerdings eine Verwandtschaft der Gegenstände, aber diese Verwandtschaft muss keine Gemeinsamkeit einer Eigenschaft oder eines Bestandteils sein. Sie kann die Glieder kettenartig verbinden, so dass eines mit einem anderen durch Zwischenglieder verwandt ist; und zwei einander nahe Glieder können gemeinsame Züge haben, einander ähnlich sein, während entferntere nichts mehr miteinander gemein haben und doch zu der gleichen Familie gehören.» - «Würden wir also [beispielsweise] nach dem Wesen ... des Sinnes für Musik [gefragt], - so würden wir nun nicht versuchen, ein Gemeinsames aller Fälle anzugeben ... sondern statt dessen Beispiele, gleichsam Zentren der Variation.» Welche Kriterien diese Zentren jedoch auszeichnen, lässt Wittgenstein leider unbestimmt und so wird man den Eindruck nicht los, das Familienähnlichkeitsprinzip ermögliche einfach nur, alles mit allem zu verbinden, öffne also der Beliebigkeit Tür und Tor.
Dessen war sich Wittgenstein bewusst, weswegen er nach einer Synthese aus klassischer Begriffsdefinition und Familienähnlichkeitsmethode strebte. «Nun könnte man aber einwenden, dass ja von Allem zu Allem Übergänge zu machen seien und dass dadurch der Begriff also nicht begrenzt sei. Darauf muss ich sagen, dass er es meist tatsächlich nicht ist [...]. Wollen wir aber ... im Gebrauch eines Wortes Grenzen ziehen, so stellen wir dem tatsächlichen Bild dieses Gebrauchs, worin sozusagen die verschiedenen Farben ohne scharfe Grenzen ineinander fließen, eines an die Seite, dem ersten in bestimmter Weise ähnlich, aber aus klar aneinander grenzenden Farben bestehend.»
Wittgensteins Methodik scheint besonders zur Analyse komplexer Begriffe, wie beispielsweise "Kunst", "Politik", "Gesellschaft" oder "Religion" geeignet, wo die klassische Begriffsdefinition tatsächlich versagt, indem sie zwar logisch konsistente, aber von den Lebensformen zu weit entfernte und damit tendentiell unverständliche Begriffe und Theorien hervorbringt. Doch verliert man beim Tausch von Definition gegen Deskription eben auch die Möglichkeit eindeutiger Abgrenzung und universeller Gültigkeit, ersetzt also im ungünstigsten Fall ein Labyrinth durch ein anderes.

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Gewissheit
Es gibt Binsenweisheiten, deren man gewiss sein kann, ohne sie aber zu wissen. «Ich treffe einen Marsbewohner, und er fragt mich "Wieviel Zehen haben die Menschen?" - Ich sage: "Zehn. Ich will's dir zeigen", und ziehe meine Schuhe aus. Wenn er sich nun wunderte, dass ich es mit solcher Sicherheit wusste, obwohl ich meine Zehen nicht gesehen hatte. - Sollte ich da sagen: "Wir Menschen wissen, dass wir soviel Zehen haben, ob wir sie sehen oder nicht"?» Im alltäglichen Lebensvollzug kommt der Mensch nicht ohne subjektive Gewissheiten aus. Wissen ist dennoch etwas anderes. «Was heißt es: die Wahrheit eines Satzen sei gewiss? Mit dem Wort "gewiss" drücken wir die völlige Überzeugung, die Abwesenheit jeden Zweifels aus, und wir suchen damit den anderen zu überzeugen. Das ist subjektive Gewissheit. Wann aber ist etwas objektiv gewiss? - Wenn ein Irrtum nicht möglich ist. Aber was für eine Möglichkeit ist das? Muss der Irrtum nicht logisch ausgeschlossen sein?» Genau dies ist jedoch unmöglich, denn «Es wäre doch merkwürdig, wenn wir dem Glaubwürdigen glauben müssten, der sagt "Ich kann mich nicht irren"; oder dem, der sagt, "Ich irre mich nicht."» Die Aussage "Ich weiß" als Ausdruck von Erfahrung ist immer anfechtbar. Selbst wenn sie gut gerechtfertigt ist, kann es keine metaphysische Garantie dafür geben, dass sie sich nicht als falsch herausstellt. «Es wäre gänzlich irreführend zu sagen: ich glaube, ich heiße L. W. Und es ist auch richtig: ich kann mich darin nicht irren. Aber das heißt nicht, ich sie darin unfehlbar.»
Wittgensteins epistemologische Position lässt sich also weder als reiner Positivismus ("Nur Erfahrbares kann gewusst werden.") noch als Skeptizismus ("Nichts ist sicher, außer dem Zweifel.") zusammenfassen. Er räumt die Lebens-Notwendigkeit eines common sense durchaus ein, trennt diesen kategorial jedoch scharf vom verifizierbaren bzw. falsifizierbaren Wissen der Wissenschaft ab. Mithilfe des common sense erschaffe und erhalte ich mein Weltbild. «Aber mein Weltbild habe ich nicht, weil ich mich von seiner Richtigkeit überzeugt habe; auch nicht, weil ich von seiner Richtigkeit überzeugt bin. Sondern es ist der überkommene Hintergrund, auf welchem ich zwischen wahr und falsch unterscheide. Die Sätze, die dieses Weltbild beschreiben, könnten zu einer Art Mythologie gehören. Und ihre Rolle ist ähnlich der von Spielregeln, und das Spiel kann man auch rein praktisch, ohne ausgesprochene Regeln, lernen.» Zur Illustration der Natur dieser "mythologischen" Sätze bemüht Wittgenstein das folgende Bild: Sie glichen den Angeln, in denen sich eine Tür bewegt. Ohne ihre Angeln läßt sich die Tür weder öffnen noch schließen. Dennoch macht man sich beim Durchschreiten einer Tür sicherlich über vieles Gedanken, jedoch nie (oder selten) über die Natur der Angeln, die diese Tür im Rahmen halten. Aber: «Wenn ich will, dass die Türe sich drehe, müssen die Angeln feststehen.» Der Mensch benötigt eine solche «unwankende [stabile, S. H.] Grundlage seiner Sprachspiele», da ihm, sobald die Tür aus den Angeln gehoben wurde, augenblicklich «die Grundlage alles Urteilens entzogen» würde. «Hier schiene ein Zweifel alles nach sich zu ziehen und in ein Chaos zu stürzen.»
Es gibt vier Arten von Angelsätzen.:
  1. Unpersönliche Angelsätze von überhistorischer Gültigkeit "Die Erde hat seit langer Zeit existiert." Angelsätze dieser Art sind keine Forschungsergebnisse. Vielmehr gibt es keine grundlegenderen Sätze mehr, auf deren Basis sie geglaubt werden könnten.
  2. Unpersönliche Angelsätze von historisch begrenzter Gültigkeit "Wasser kocht bei 100 º C." Diese Angelsätze sind das Ergebnis menschlicher Forschung, die in ständiger Evolution begriffen ist. Nichtsdestotrotz ist die Annahme ihrer Gültigkeit Grundlage jeglicher Forschung. «Was immer in Zukunft geschehen mag, wie immer sich Wasser in Zukunft verhalten mag, - wir wissen, dass es sich bis jetzt in unzähligen Fällen so verhalten hat. Diese Tatsache ist in das Fundament unseres Sprachspiels eingegossen.»
  3. Persönliche Angelsätze von allgemeiner Gültigkeit "Mein Name ist S. H." «Und ist nun mein Wissen, dass ich L. W. heiße, von der gleichen Art wie das, dass Wasser bei 100 º C siedet? Diese Frage ist natürlich falsch gestellt.» Denn über den eigenen Namen kann sich jede gesunde Person gewiss sein, das Wissen über den präzisen Siedepunkt des Wassers jedoch verdanke ich meiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten historischen Epoche.
  4. Persönliche Angelsätze von individueller Gültigkeit "Ich bin in Würzburg geboren." Gewissheiten dieser Art ermöglichen mir die Erschaffung meiner Welt mit all ihren Sprachspielen. Ob diese Sprachspiele vernünftig oder unsinnig sind (oder gar Ausdruck einer Geistesgestörtheit), ist für die Gültigkeit der Sätze von der Art (1) bis (3) ohne Bedeutung.
Träten allerdings "unerhörte Ereignisse" auf, etwa eine Verringerung der Erdanziehungskraft, so dass alle Menschen plötzlich schwebten statt sich zu Fuß fortzubewegen, so würde dies zu einem Zusammenbruch von Angelsätzen der Art (2) führen. Das Fundament unseres Sprachspiels würde zerbrechen, die Tür wäre aus den Angeln gehoben. Wir wären gezwungen, neue Sprachspiele ("Mythologien") zu erfinden, um erneut wissen zu können. Also gilt «Es ist immer von Gnaden der Natur, wenn man etwas weiss.».
Angelsätze stellen zwar das Fundament unseres vernünftigen Denkens dar, doch sind sie nicht Axiomen vergleichbar, die eine Theorie stützen. Sie bilden lediglich einen Hintergrund für unser vernünftiges Argumentieren, verdanken ihren eigenwilligen Status der Tatsache, dass sie der sprachlichen Einrichtung des Argumentierens zugrunde liegen. In diesem Sinne haben Angelsätze den paradoxen Status von «Grundmauern, die vom ganzen Haus getragen» werden. Denn: «Die Begründung aber, die Rechtfertigung der Evidenz kommt zu einem Ende; - das Ende aber ist nicht, dass uns gewisse Sätze unmittelbar als wahr einleuchten, also eine Art Sehen unsererseits, sondern unser Handeln, welches am Grunde des Sprachspiels liegt.»
Wittgenstein liefert hier Grundlagen einer sozialisierten Erkenntnistheorie, die als Vorstufe der Wissenssoziologie betrachtet werden kann. Aus den sinnlichen Erfahrungen des Individuums lässt sich eben nicht das Wissen der ganzen Spezies ableiten, Wissen ist vielmehr eine Leistung des Kollektivs. In diesem Punkt stimmt Wittgenstein mit Marx überein. Lernen bedeutet oft einfach, die Autorität des Kollektivs anzuerkennen, die Dinge auf Treu und Glauben hinzunehmen: «Ich glaube, was mir Menschen in einer gewissen Weise übermitteln. So glaube ich geographische, chemische, geschichtliche Tatsachen etc. So lerne ich die Wissenschaften. Ja, lernen beruht natürlich auf glauben.»
Die Möglichkeit der Revision des Gelernten wird dadurch jedoch keinesfalls ausgeschlossen: «Ich habe eine Unmenge gelernt und es auf die Autorität von Menschen angenommen, und dann manches durch eigene Erfahrung bestätigt oder entkräftet gefunden.»

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Grammatik
Wittgenstein als Volksschullehrer: Otterthal 1925Alle logischen Fragen sind eigentlich grammatische Fragen, d. h. alle Fragen nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält, münden letztlich in Fragen zum korrekten Gebrauch von Wörtern. Die an Schulen gelehrte konventionelle Grammatik trägt nicht zur Erhellung der so verstandenen logischen Form von Sätzen bei, sie hat andere Aufgaben und taugt demzufolge auch nicht für logisch-philosophische Untersuchungen.
Die Grammatik eines Satzes besteht in seiner Verwendungsweise, seinem Gebrauch. Die Regeln der (idealen) Grammatik setzen Maßstäbe für den korrekten Gebrauch eines Satzes, der seine Bedeutung bestimmt. Indem man einem Satz eine Bedeutung gibt, legt man seine Grammatik fest. Grammatisch korrekte Sätze müssen keine wahren Sätze sein.
Das grammatische System bestimmt die logische Beziehung eines Satzes zu anderen Sätzen, der Satz findet seinen Ort im System und macht dadurch Sinn. Fasst man alle Regeln, die bestimmen, was in einer Sprache sinnvoll gesagt werden kann, zusammen, erhält man die Grammatik einer Sprache, ihr Gesamtsystem von grammatischen Einzelbestimmungen.
Im Gegensatz zur Logik ist die Wittgenstein'sche Grammatik nicht universal, sondern gleichsam transversal, d. h. sie verbindet plurale und universale Aspekte. So hat zwar jede Sprache Ihre partikulare Grammatik, welche jeweils nicht restlos in die einer anderen Sprache übersetzbar ist (man denke nur an die Unterschiede zwischen Englisch und Chinesisch!), doch die Grammatik eines bestimmten Wortes wie "Baum" ist insofern universal, als jede Sprache für diesen Gegenstand ein äquivalentes Wort bzw. Wörter hat.
Nur indem man sich auf eine regelgeleitete Tätigkeit einlässt, lernt man eine Sprache sprechen. Doch haben diese Regeln mehr Ähnlichkeit mit einem Spiel als mit einer Vorschrift. «Das Folgen nach der Regel ist am Grunde unseres Sprachspiels.»
Es gibt zwei Arten von Sätzen, empirische und grammatische. Empirische Sätze entsprechen Zügen im aktuellen Sprachspiel (vergleichbar mit Zügen im Schachspiel), grammatische Sätze beschreiben oder modifizieren die Regeln, nach denen diese Züge ausgeführt werden (müssen aber nicht im engeren Sinne "meta-sprachliche" Bemerkungen sein). Der empirische Satz beschreibt, was der Fall ist, der grammatische Satz die Rahmenbedingungen, unter denen das der Fall ist, was der Fall ist. Doch ist die Trennung zwischen beiden Satzarten keine grundsätzliche: Es ist vorstellbar, dass sich grammatische Sätze in Züge im Sprachspiel verwandeln. Auch sind Erfahrungssätze (etwa religiöser Art) denkbar, um die herum sich ein neues Sprachspiel aufbaut.
Beispiele für grammatische Regeln sind Wittgensteins. Philosphie führt «das Geschäftsbuch der Sprache», indem sie deren Praxis untersucht und analysiert und dann Anmerkungen zum Sprachgebrauch macht. «Das Wesen ist in der Grammatik ausgesprochen.» Die scheinbare Struktur der Wirklichkeit ist lediglich ein Schatten der Grammatik. Die Funktion logisch notwendiger Sätze ist in diesem Zusammenhang nicht beschreibender, sondern vorschreibender Art. Die Wittgenstein'sche Grammatik beschreibt sich also letztlich selbst als Darstellungsform oder Weltanschauung, die sich empirisch nicht widerlegen läßt. Ihr Ausgangspunkt ist die religiöse Erfahrung, «dass [die Welt] ist.» - «Wie die Welt ist, ist für das Höhere vollkommen gleichgültig. Gott offenbart sich nicht in der Welt.»
Was unterscheidet also die Wittgenstein'sche Grammatik von der Dudens? Hierzu ein Ausschnitt aus dem Vorwort zur Duden-Grammatik von 1984: "Im engeren Sinne ist der Gegenstand der Duden-Grammatik das System der deutschen Standardsprache, dasjenige System von Regeln, das den einzelnen sprachlichen Äußerungen zugrunde liegt. [...] Das Bekenntnis zu einer grundsätzlich deskriptiven Orientierung bedeutet ... keinen Verzicht auf normative Geltung - diese ist zudem bereits mit der Kodifizierung der Standardsprache gegeben! Die Duden-Grammatik führt ... die präskriptive Tradition fort, sie [...] wirkt den Zentrifugalkräften in der Sprache entgegen. Die Legitimation dazu leitet sie aus der Überzeugung ab, daß eine Sprachgemeinschaft eine ... in der Schule lehr- und lernbare Sprache braucht."
Grammatik nach Wittgenstein hingegen ist...
  1. ... nicht an Genauigkeit und Vollständigkeit der Darstellung interessiert, sondern begnügt sich mit präzisen Einzeluntersuchungen, die ein Schlaglicht auf das Ganze werfen sollen.
  2. ... nicht an der Geschichte der Sprache oder an Etymologie interessiert, sondern untersucht deren Gebrauch (dies kann aber auch beispielsweise der Sprachgebrauch des 17. Jahrhunderts sein).
  3. ... nicht an der Aufstellung eines Regelsystems für eine bestimmte, ethnisch definierte Standardsprache interessiert, sondern beobachtet Züge, die viele verschiedene Sprachen miteinander teilen.
  4. ... nicht an der Präskription, sondern an der Analyse der funktionalen Konzeption grammatischer Regeln (auch non-verbaler!) interessiert..
Wörter haben eine Oberflächen- und eine Tiefengrammatik. Unter Oberflächengrammatik versteht man zum Beispiel die Struktur eines Satzes. So haben die Sätze "Ich habe Schmerzen." und "Ich habe Streichhölzer." dieselbe Oberflächengrammatik, aber eine komplett unterschiedliche Tiefengrammatik, d. h. es sind recht unterschiedliche Anschlussmöglichkeiten gegeben. Anders gesagt, die Oberflächengrammatik eines Satzes hat zu tun mit seiner auf einen Blick erfassbaren lokalen Umgebung, seine Tiefengrammatik mit seiner Lage innerhalb einer Gesamtgeografie. Dennoch muss die Grammatik als flach vorgestellt werden, es gibt keine Meta-Grammatik, die die Grammatik selbst beschreiben könnte. Entsprechende Versuche der traditionellen Metaphysik, eine solche Meta-Grammatik zu (er-)finden, führen zu Unsinn.

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Ich
Das Ich bezeichnet die begründende Einheit jeglichen begrifflich urteilenden Erfassens (Kant). Aus diesem Grund kann es selbst nicht erfahren werden (Schopenhauer).
Was immer wir erfahren, könnte auch anders sein. Aber dieses Gesichtsfeld ist mein Gesichtsfeld, was ich unabhängig von jeglicher Erfahrung weiß. Dieses Wissen unterliegt nicht der Grundregel, das jeder Satz wahr oder falsch sein kann. So entkommt das Subjekt der Erfahrung der Selbstbeobachtung, weil seine Verknüpfung mit der Erfahrung nicht selber erfahrungsabhängig ist.
Grundlagen einer Zeichentheorie kann ich mit einer die Erscheinungen beschreibenden subjektiven Erfahrungssprache schaffen. Doch die Erfahrungen dieser Sprache sind herrenlos, sie haben keinen Eigentümer. Nicht 'Ich denke', sondern 'Es denkt' trifft den Nagel auf den Kopf. Warum? Weil niemand anderer exakt die Erfahrung haben kann, der ich begegnen könnte (es ist sinnlos zu sagen, dass ICH im Gegensatz zu jemand anderem jene Erfahrung gemacht habe).
«Es ist richtig, wenn auch paradox, zu sagen: 'ICH bezeichnet keine Person.'»
Was unterscheidet ICH von der Bezeichnung "Stefan"?
  1. ICH läßt keinen Fehlschlag der Bezugnahme zu. Im Gegensatz zu "Stefan" setzt es nicht voraus, dass man den Bezugsgegenstand durch einen Namen identifizieren kann.
    (Normales Bezeichnen ist dem Pfeilschießen auf eine Zielscheibe an der Wand vergleichbar. Es sind Treffer oder Fehlschüsse möglich. Die Bezeichnung durch ICH dagegen bedeutet das Zeichnen eines Kreises im Zentrum der Zielscheibe um einen Pfeil, der schon in der Wand steckt.)
    ICH ist superbezeichnend.
  2. ICH zu sagen zeigt auf nichts, es ist eher dem Heben des Armes (zum sich Melden) verwandt. ICH bezeichnet den Ursprungspunkt eines Systems des hinweisenden Sprachgebrauchs, "Stefan" dagegen einen Punkt auf der Zeichnung, die den hinweisenden Sprachgebrauch darstellt.
So wie Tautologien ("Der Greis ist alt.") Sonderfälle von Sätzen sind, ist ICH Sonderfall eines bezugnehmenden Ausdrucks.

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Lebensform
Die Verflechtung von Kultur, Weltanschauung und Sprache bildet eine Lebensform. Die Regeln, die unser Sprechen leiten, sind immer verbunden mit nichtsprachlichen Aktivitäten und können nur in diesem Zusammenhang begriffen werden. Erfundene Sprachspiele lassen sich beispielsweise nur dann richtig verstehen, wenn man imstande ist, mit ihrer Hilfe die Geschichte (im doppelten Sinn von "Erzählung" und "Historie") der dazugehörigen Gemeinschaft (Gruppe, Kollektiv, Clique, Stamm, Gesellschaft) zu erzählen. «... eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen.» Lebensform bezeichnet demnach eine Gesamtheit gemeinschaftlicher Tätigkeiten, in die Sprachspiele eingebettet sind: eine "Kultur". Diese Kultur bildet die Grundlage der Sprache. (Um Missverständnisse auszuschließen: Wittgenstein sagt nicht, dass sich alles, "was der Fall ist", durch Sprachspiele erschöpfend beschreiben ließe.)
Wittgenstein beharrt auf der Pluralität der Lebensformen, er vertritt einen kulturellen Relativismus, der gleichwohl nicht mit philosophischem Relativismus einhergeht. Der späte Wittgenstein betont, dass sprachliche (und nichtsprachliche) Darstellungsformen eben nicht metaphysischen Maßstäben unterliegen, sie spiegeln nicht das "Wesen" der Dinge, sondern genügen pragmatisch den Anforderungen dessen, was der Fall ist. Innerhalb dieser Pragmatismen jedoch entwickelt sich die Sprache vollkommen selbständig, das heißt, das Niveau ihrer Vernünftigkeit oder auch Unvernünftigkeit pegelt sich ein. So ist strenggenommen keine vernünftige Fundamentalkritik der einen Lebensform an der anderen möglich. Stattdessen geschieht das Folgende: «Wo sich wirklich zwei Prinzipien treffen, die sich nicht miteinander aussöhnen können, da erklärt jeder den Anderen für einen Narren und Ketzer. – Ich sagte, ich würde den Anderen 'bekämpfen', – aber würde ich ihm denn nicht Gründe geben? Doch; aber wie weit reichen die? Am Ende der Gründe steht die Überredung
Aber widerlegt sich Wittgenstein hier nicht selbst? Warum beschreibt sein kultureller Relativismus das, was der Fall ist, eigentlich korrekter, als etwa die biblische Schöpfungsgeschichte, der Koran, das Weltbild der Wissenschaft? Beansprucht er für seine Position nicht genau jene Art allgemeiner Gültigkeit, die er anderen Positionen verweigert? – Wittgenstein entgeht diesem Dilemma durch die Zwanglosigkeit, mit der er seine Argumente präsentiert. Es handelt sich bei ihnen um Meta-Bemerkungen grammatischer Art, nicht um Handlungsanweisungen, eine bestimmte Lebensform einer anderen vorzuziehen. Grammatische Bemerkungen erinnern lediglich an die Art und Weise, wie Wörter verwendet werden. Wittgenstein ist kein Missionar, aber er beharrt auf der Fähigkeit der Philosophie, durch die Analyse von Sprachspielen die Kontingenz von Lebensformen aufzuzeigen.

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Logik
Aufgabe der Logik ist es, zu untersuchen, was gültige von ungültigen Sätzen unterscheidet. Tagesgeschäft der Philosophie ist demzufolge nichts anderes als die logische Analyse von Sätzen.
Logisch gültige Sätze sind weder Aussagen darüber, wie menschliche Wesen denken (Psychologie), noch über die verbreitetsten Züge der Wirklichkeit (Aristoteles), noch sind sie ein Abglanz abstrakter Ideen jenseits von Raum und Zeit (Plato), vielmehr spiegeln sie, in Anlehnung an Kant, die Vorbedingungen für die Möglichkeit der Erfahrung und ihrer sprachlichen Darstellung überhaupt wieder. «Die Möglichkeit aller Gleichnisse, der ganzen Bildhaftigkeit unserer Ausdrucksweise, ruht in der Logik der Abbildung.»
Die Logik bestimmt wie ein Filter, wie wir die Welt erfassen. «Die Grenze wird also nur in der Sprache gezogen werden können und was jenseits der Grenze liegt, wird einfach Unsinn sein.»
Zur Illustration dieser Auffassung nennt Wittgenstein drei Typen von Sätzen:
  1. Mathematische Gleichungen ("1+1=2"): Diese Art Sätze sind «Scheinsätze» - «Der Satz der Mathematik drückt keinen Gedanken aus.» In ihm werden lediglich Zeichen aufgrund von Regeln für wiederholbare Operationen gleichgesetzt.
  2. Metaphysische Sätze ("Gott existiert."): Derartige Sätze sind Unsinn, weil sie, siehe oben, jenseits der Grenze der Sprache liegen. «Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.»
  3. Tautologien ("Der Schimmel ist ein weißes Pferd."): Sätze dieser Art sind zwar logisch unangreifbar, streng genommen sind es sogar die einzigen logisch notwendigen Sätze, doch letztlich sind auch sie nichtssagend. «Im logischen Satz werden Sätze miteinander ins Gleichgewicht gebracht, und der Zustand des Gleichgewichts zeigt dann an, wie diese Sätze logisch beschaffen sein müssen.» Die logische Analyse von Sätzen ist also letztlich eine «Nullmethode».
«Dass die Sätze der Logik Tautologien sind, das zeigt die formalen - logischen - Eigenschaften der Sprache, der Welt. Dass ihre Bestandteile so verknüpft eine Tautologie ergeben, das charakerisiert die Logik ihrer Bestandteile. Damit Sätze, auf bestimmte Art und Weise verknüpft, eine Tautologie ergeben, dazu müssen sie bestimmte Eigenschaften der Struktur haben. Dass die so verbunden eine Tautologie ergeben, zeigt also, dass sie diese Eigenschaften der Struktur besitzen.»
Der späte Wittgenstein lockerte diese apodiktische Position, weil er erkannte, dass viele Erscheinungen des Alltagslebens, etwa Gesten oder andere nonverbale Ausdrucksäußerungen, logisch nicht hinreichend beschrieben werden können, aber dennoch kein Unsinn sind. Der Begriff der Grammatik als der Logik der Sprachspiele beerbte Wittgensteins frühen, rigorosen und engen Begriff der Logik.

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Regeln
Regeln leiten unser Verhalten und bestimmen die Bedeutung von Wörtern. Sie sind Maßstäbe der Richtigkeit, d. h. sie beschreiben beispielsweise nicht, wie Musiker improvisieren, sondern definieren, was es heisst, sinnvoll zu improvisieren. Es gibt einen Unterschied zwischen einer Regel als normativer Funktion und der sprachlichen Formulierung, die verwendet wird, um diese Funktion auszuführen. Die Untersuchung der Rolle von Regelformulierungen kann zur Begriffsklärung einer Regel führen.
Regeln sind wesentlich allgemein, sie sind bei einer zumeist unbegrenzten Vielfalt von Anlässen anwendbar. Die Normativität und Allgemeinheit von Regeln ist unabhängig von ihrer Formulierung, also nicht an die Verwendung von Spezialsprachen gebunden. Entscheidend ist lediglich, dass ein Ausdruck bei gegebener Gelegenheit eine normative Funktion erfüllt. «Es ist, wie wenn man für gewisse Spiele nur einen Strich mitten durchs Spielfeld zieht, um die Parteien zu trennen, das Feld aber im übrigen nicht begrenzt, weil es nicht nötig ist.»
Es gibt einen Unterschied zwischen dem Glauben, einer Regel zu folgen und ihr tatsächlich zu folgen. Wenn ein Musiker beim Improvisieren einer Regel folgt, muss die Regel Teil seines Grundes für Improvisation sein und nicht nur eine Veranlassung. Er muss der Regel zu folgen beabsichtigen. Diese Intentionalität ist jedoch nur virtuell, d. h. er muss nicht ständig an die Regel denken, während er improvisiert, es ist nur erforderlich , dass er sie heranzöge, um sein Improvisieren zu rechtfertigen. Dies unterscheidet das Regelfolgen von der Inspiration. Die Inspiration leitet den Musiker "passiv": er kann nicht erklären, was er tut und kann somit andere auch nicht lehren, was er tut. «Was ist der Unterschied zwischen diesem Vorgang, einer Art Inspiration zu folgen, und dem, einer Regel zu folgen? (...) In dem Fall der Inspiration warte ich auf die Anweisung. Ich werde einen Anderen nicht meine 'Technik' lehren können, der Linie zu folgen. Es sei denn, ich lehrte ihn eine Art des Hinhorchens, der Rezeptivität. Aber dann kann ich natürlich nicht verlangen, dass er der Linie so folgt wie ich.»
Aber wie "regelt" eine Regel, d. h. wie bringt ein bloßes Zeichen es fertig, im vorhinein eine unbegrenzte Anzahl von Schritten zu bestimmen? Nun, die Beziehung zwischen einer Regel und ihrer richtigen Anwendung ist eine interne, d. h. eigentlich gibt es hier keine Beziehung, weil die Regel konstitutiv für die Anwendung ist und umgekehrt. «Ich gebe der Regel eine Extension.» Allerdings gibt es zwischen Regel und Anwendung keine so offensichtliche Verbindung wie zwischen Satz und Tatsache. Nur durch umschreibende Erklärungen und Anweisungen wird klar, was gemeint ist. «Wie erkläre ich jemandem die Bedeutung von 'regelmäßig', 'gleichförmig', 'gleich'? - Einem der, sagen wir, nur Französisch spricht, werde ich diese Wörter durch die entsprechenden französischen erklären. Wer aber diese Begriffe noch nicht besitzt, den werde ich die Worte durch Beispiele und durch Übung gebrauchen lehren. [...] Ich mach's ihm vor, er macht es mir nach; und ich beeinflusse ihn durch Äußerungen der Zustimmung, der Ablehnung, der Erwartung, der Aufmunterung. Ich lasse ihn gewähren, oder halte ihn zurück; usw.»
Das Folgen von Regeln kann in Gepflogenheiten, Gebräuche oder Institutionen münden, es ist also typischerweise sozial. «Es kann nicht ein einziges Mal nur ein Mensch einer Regel gefolgt sein.» Dennoch beharrt Wittgenstein darauf, dass, ob jemand einer Regel folgt, davon abhängt, was zu tun er fähig ist, nicht davon, wie er diese Fähigkeit erworben hat.

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Religion
«Ich bin zwar kein religiöser Mensch, aber ich kann nicht anders: ich sehe jedes Problem von einem religiösen Standpunkt.»
Wittgenstein entstammte einer vorwiegend jüdischen Familie, wurde jedoch römisch-katholisch erzogen. Sein Standpunkt in Sachen Religion: Wir können Gott weder verstehen noch rational begreifen, es ist weder vernünftig noch unvernünftig, an seine Existenz zu glauben. «Der einzige sichere Weg zum Glück» sei der Glaube. Beachten wir die Doppelbödigkeit von Wittgensteins Formulierung, die sich in der Betonung des Attributs sicher ausdrückt: Es gibt also auch andere, wankendere Wege zum Glück (etwa die Philosphie?), allerdings um den Preis ewiger Un-Gewissheit. Pointiert formuliert: Wer durch Glauben zum Glück findet, gibt dafür die Freiheit des unabschließbaren Zweifels preis.
Gott ist bei Wittgenstein keine Person, an die man sich wenden könnte, er ist vielmehr identisch mit dem Sinn des Lebens, der «von unserem Willen unabhängigen Welt», die wiederum identisch ist mit dem, «wie sich alles verhält». Wenig Spielraum für Idealismus hier. «Es gibt zwei Gottheiten: die Welt und mein unabhängiges Ich.» Gottheit II "Ich" hat nun keine andere Wahl, als gleichmütig das Sosein von Gottheit I "Welt" hinzunehmen.
Daher besteht die «Lösung des Problems des Lebens im Verschwinden dieses Problems». Achtung: auch diese Sentenz hat zwei Gesichter. Das eine zeigt Wittgenstein als pragmatischen Fatalisten, der ein ohnehin unlösbares Problem "einfach" bis auf weiteres beiseiteschiebt, um Raum zu haben zum Leben. Das andere Gesicht dieser Aussage zeigt Wittgenstein als skrupulösen Grübler, der die Problematik der "richtigen" Lebensführung erst nach dem Verschwinden des Lebens für gelöst ansehen kann: - also im Tod.
Das So-Sein der Welt ist keine Offenbarung Gottes, ihr Sein aber sehr wohl.
Religiöser Glaube kann letztlich nur auf mystische, "unmittelbare" Gotteserfahrung gegründet werden. Wittgensteins paradoxe Kernsätze mystischer Erfahrung sind die folgenden:
  1. Es gibt ein Lebensproblem, dass schlicht und ergreifend darin besteht, dass wir existieren. Dieser gordische Knoten kann selbst vom Schwert wissenschaftlicher Erkenntnis nicht zerschlagen werden.
  2. Es existiert zweifellos ein Gefühl der Welt als begrenztes Ganzes im Menschen (wenn auch meist nur in psychischen Sonderzuständen wie Meditation oder Nahtod-Erfahrung), d. h. der Mensch ist fähig, die Welt "von außen" zu betrachten.
  3. Erst aufgrund der widerspruchslosen Hinnahme des Soseins der Welt werden Werte und Schönheit möglich.
  4. «Den Tod erlebt man nicht.», dennoch existiert er zweifellos.
Sinnvolle Beschreibungen derartiger Erfahrungen sind nicht möglich, so wie der Sinn der Grammatik nur in a-grammatischen Scheinsätzen, im Stottern, Stammeln und Delirieren der Metaphysik / Esoterik ausgedrückt werden kann. «Wenn das Christentum die Wahrheit ist, dann ist alle Philosophie darüber falsch.» Das Mystische «zeigt sich» in Handlungen und Einstellungen des Einzelnen.
Es geht Wittgenstein nicht darum, sich für oder gegen eine bestimmte Spielart von Religion zu entscheiden, etwa vom Katholizismus zum Protestantismus zu konvertieren oder gar die Vorzüge des einen gegen die Nachteile des anderen abzuwägen. Ihn interessiert zwar beispielsweise, welchen Einfluss ein Begriff wie "Jüngstes Gericht" auf eine konkrete Lebensform hat, doch teilt er den Bezugsrahmen dieser Lebensform nicht. Religion wird von Wittgenstein vielmehr als anthropologisches Phänomen betrachtet, das er weder anklagt noch verteidigt. Hierzu fünf Anmerkungen:
  1. Religiöse Scheinsätze sind von beschreibenden Sätzen zu trennen. Sie enthalten kein Wissen. Der Glaube an das Jüngste Gericht beispielsweise taugt wohl kaum dazu, beweisbare Aussagen über Tag und Uhrzeit des Endes der Welt zu machen, kann aber gravierende Auswirkungen auf die Lebensführung des Glaubenden haben ("Gott sieht alles!").
  2. Der Glaube an Gott bedeutet nicht den Glauben an ein existierendes Wesen, sondern die Verpflichtung auf eine wertebestimmte Lebensform. Um welche Werte es hier geht, ist letztlich kontingent, d. h. von einer bestimmten Erziehung und bestimmten Erfahrungen abhängig.
  3. Jede Form von Theo-Logie, also des Versuches, mystische Gotteserfahrung mit beschreibenden Sätzen zu verstehen und damit "wissenschaftlich" zu verifizieren, ist abzulehnen. Sie bedeutet ein Miss-Verstehen der Rolle des religiösen Glaubens im Leben des Menschen. «Die Theologie, die auf den Gebrauch gewisser Worte und Phrasen dringt und andere verbannt, macht nichts klarer ... Sie fuchtelt sozusagen mit Worten, weil sie etwas sagen will und es nicht auszudrücken weiß. Die Praxis gibt den Worten ihren Sinn.» Das Sich-Berufen der Theologen auf "göttliche Offenbarung" drückt einfach nur ihre Entscheidung für eine bestimmte Lebensform aus, aber kein Wissen um das Wesen der Religion. So ist es auch völlig gleichgültig, ob die Texte der Bibel oder des Korans historische Wahrheiten enthalten oder pure Fantasterei darstellen: die Menschen lesen sie ohnehin nicht als Geschichtsbuch.
  4. Beten stellt das originäre Sprachspiel der Religion dar und ist als solches autonom, d. h. weder entspricht es einem "Wesen der Wirklichkeit" noch entspricht es ihm nicht. Wissenschaftlich kann weder die Wirksamkeit noch die Bedeutungslosigkeit des Sprachspiels "Beten" bewiesen werden. Übergriffe der Wissenschaft auf die Religion sind deshalb abzulehnen.
  5. Religion und Okkultismus / Aberglaube sind streng voneinander abzugrenzen. Okkultismus stellt «eine Art falscher Wissenschaft» dar, einen Glauben an übernatürliche Mechanismen. In diesem Sinne (!) sind sich Aberglaube und Theo-Logie recht nahe: erstere ist irregeleitete Religion, letztere irregeleitete Philosophie. Der wahrhaftige Ausdruck von Religion findet dagegen im Ritual statt, das seinen festen Platz hat in der Lebensform des religiösen Menschen.


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Solipsismus
"Nur ich und mein Bewusstsein existieren, alles andere ist Trug." Dies ist die Weltsicht des Solipsismus (von lat. solus = "allein" und ipse = "selbst"), der keine philosophische Schule darstellt, sondern vielmehr eine mögliche, wenn auch extreme Weltsicht, an deren stichhaltiger Begründung oder Widerlegung sich neben Schopenhauer oder Sartre auch Wittgenstein abarbeitete. Wie lässt sich beweisen oder widerlegen, dass nicht nur ich und mein Bewusstsein von der Welt existieren, dass alles, was ich wahrnehme, einschließlich meiner Mitmenschen, nicht nur "ein bloßer Traum" (Descartes) oder, in zeitgenössischer Sprache, "virtuelle Realität" ist?
Der Wittgenstein des Tractatus behauptet «Was der Solipsismus ... meint, ist ganz richtig, nur lässt es sich nicht sagen, sondern es zeigt sich.» Somit leitet der Solipsismus über vom "Logischen" zum "Mystischen". Und weiter: «Wenn ich ein Buch schriebe 'Die Welt, wie ich sie vorfand', so wäre darin auch über meinen Leib zu berichten und zu sagen, welche Glieder meinem Willen unterstehen und welche nicht etc., dies ist nämlich eine Methode ... zu zeigen, dass es in einem wichtigen Sinne kein Subjekt gibt [sic!]: Von ihm allein könnte in diesem Buche nicht die Rede sein." Ähnlich wie ein menschliches Auge sich nicht selbst beim Sehen zuschauen könne, könne sich das menschliche Ich nicht selbst objektiv erfahren, weil es als notwendiges Beobachtungsinstrument immer schon jeglicher Erfahrung vorgeschaltet sei. Deshab gilt: «Das Subjekt gehört nicht zur Welt, sondern es ist eine Grenze der Welt.» Was diese Ansicht allerdings vom klassischen Solipsismus (siehe Anfang des Artikels) unterscheidet, ist die Anerkennung der Außenwelt, denn Grundlage meiner angeblich solipsistischen Wahrnehmung muss ja etwas außerhalb dieser sein, und wenn ich zugestehe, dass dieses Etwas (mein Auge etwa) existiert, so muss ich dies letztlich auch allem anderen zugestehen. «Das hängt damit zusammen, dass kein Teil unserer Erfahrung ... a priori [= erfahrungsunabhängig; S. H.] ist. [...] Es gibt keine Ordnung der Dinga a priori. Hier sieht man, dass der Solipsismus, streng durchgeführt, mit dem reinen Realismus zusammenfällt. Das Ich des Solipsismus schrumpft zum ausdehnungslosen Punkt zusammen, und es bleibt die ihm koordinierte Realität.»
Den späten Wittgenstein hat diese Position mehr und mehr mit Unbehagen erfüllt, denn: «Der Solipsist flattert und flattert in der Fliegenglocke, stößt sich an den Wänden, flattert weiter. » Dennoch fand er «eine Philosophie undenkbar, die das diametrale Gegenteil des Solipsismus ist.» - «Jener Satz [des Solipsisten; S. H.], dass nur die gegenwärtige Erfahrung Realität hat, scheint die letzte Konsequenz des Solipsismus zu enthalten. Und in einem Sinne ist das auch so; nur kann er ebenso wenig sagen wie der Solipsismus.» Denn jener Satz setzt bereits eine Unterscheidung zwischen Erfahrung und Erfahrendem voraus, die im Solipsismus eigentlich gar nicht gemacht werden dürfte. Die Grammatik des Satzes "Es gibt nur meine Empfindungen." ist demnach selbstwidersprüchlich, was Wittgenstein in folgender spöttischer Äußerung auf den Punkt bringt: «Sagt der Solipsist auch, dass nur er Schach spielen kann?»

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Sprachspiel
Wittgenstein als Zeichner: Skizze zum Tagebucheintrag vom 29.09.1914 Sprache ist eine regelgeleitete Tätigkeit. Die Regeln der Sprache heißen Grammatik. Die Grammatik bestimmt, was richtige und sinnvolle Äußerungen sind und was nicht.
Die Bedeutung eines Wortes ist nicht der Gegenstand, für den es steht, sondern ist durch die Regeln bestimmt, die seine Funktion bestimmen. Wir lernen Wörter, indem wir lernen, wie sie zu verwenden sind (genauso wie wir Schachspielen lernen, nicht, indem wir Schachfiguren mit Gegenständen verbänden, sondern so, dass wir lernen, wie sie bewegt werden können).
Ein Satz ist ein Zug im Sprachspiel. Außerhalb des Sprachspiels ist er unsinnig. Der Sinn des Satzes besteht in seiner Funktion im Sprachspiel. Welche Züge gerade möglich oder geboten sind, hängt von der jeweiligen Spielsituation ab.
Die Regeln des Sprachspiels sind jedoch nicht starr, genau und abschließend. Sie entstehen und vergehen im Fluß ihres Gebrauchs durch den Menschen.
Spielerischer Spracherwerb Kindern lernen den Gebrauch von Begriffen in einem Sprachspiel: Der Gebrauch des Wortes 'Baum' läßt sich hier noch durch bloßes Zeigen auf einen solchen erlernen. Schwieriger wird es schon mit dem Wort 'Traum'. Hier kommt der Lehrer nicht umhin, umschreibende, nicht-zeigende Sätze zur Erklärung des Begriffs zu verwenden. Das Kind lernt das Wort 'Traum', indem es die erklärenden Sätze des Lehrers als Maßstab der Richtigkeit bei jeder späteren Verwendung im Hinterkopf behält.
Analytische Sprachspiele Wittgenstein erfindet elementare Sprachspiele, um Licht auf komplexere Sprachspiele zu werfen. Das 'Sprachspiel der Bauleute' besteht lediglich aus den 4 Wörtern 'Würfel', 'Säule', 'Platte' und 'Balken'. Diese werden von einem Bauenden A ausgerufen, während sein Gehilfe B ihm das bringt, was er auf den jeweiligen Ruf hin zu bringen gelernt hat. Zusammen mit dem Unterricht, der dem Bauvorgang vorausgeht, ist hiermit ein elementares Sprachspiel vollständig beschrieben. Wesentliche, v. a. dynamische Aspekte des menschlichen Sprachgebrauchs, werden hier aber gerade nicht erfasst (was Wittgenstein zeigen will): «Es ist, als erklärte jemand: 'Spielen besteht darin, dass man Dinge gewissen Regeln gemäß auf einer Fläche verschiebt...' - und wir ihm antworten: 'Du scheinst an die Brettspiele zu denken; aber das sind nicht alle Spiele. Du kannst deine Erklärung richtigstellen, indem du sie ausdrücklich auf diese Spiele einschränkst.'»
Sprachspiele als Metapher realer Unübersichtlichkeit Es gibt eine «Mannigfaltigkeit der Sprachspiele» (z. B. : das Aussehen eines Gegenstandes beschreiben, fragen, schwören, lügen, ein Motiv gestehen, eine Geschichte erzählen), die Wittgenstein auf dem Hintergrund unserer nicht-sprachlichen Handlungen untersucht, mit denen sie mehr oder minder zusammenhängen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass diese Mannigfaltigkeit nicht auf das Beschreiben oder Darstellen von Sachverhalten reduziert werden kann, wie er das in seinen frühen Schriften noch selber forderte. Es gibt keinen einzelnen definierenden Zug, den alle Sprachspiele gemeinsam hätten.
Sprache als Spiel «Unsere Sprache kann man ansehen als eine alte Stadt: Ein Gewinkel von Gässchen und Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten; und dies umgeben von einer Menge neuer Vororte mit geraden und regelmäßigen Straßen und mit einförmigen Häusern.» Die wissenschaftlichen Beschreibungssprachen oder auch z. B. Programmiersprachen sind in diesem Sinne "neue Vororte" der Sprache. Es sollte uns deshalb nicht irritieren, dass Programmiersprachen nur aus Befehlen bestehen und damit wesentliche Teile der "Infrastruktur" fehlen (wie könnte ich beispielsweise innerhalb einer Programmiersprache lügen?). Umgekehrt könnte man der "verwinkelten Altstadt" genausogut das Fehlen eines "Bebauungsplans" vorwerfen! «Und mit wieviel Häusern, oder Straßen, fängt eine Stadt an, Stadt zu sein?»
«Ich werde auch das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist, das 'Sprachspiel' nennen.» Unsere Sprachspiele sind eingebettet in unsere Lebensform (den Gesamtzusammenhang der Tätigkeiten einer Sprachgemeinschaft). «Nur im Fluss des Lebens haben die Worte ihre Bedeutung.»
«Das primitive, uns ursprünglich beigebrachte Sprachspiel bedarf keiner Rechtfertigung, falsche Versuche der Rechtfertigung, die sich uns aufdrängen, bedürfen der Zurückweisung.» Sehe ich beispielsweise eine Landschaft, gibt es keine Möglichkeit, diese zu beschreiben, wie sie wirklich ist. Dennoch mache ich mir eine einfache Skizze, um mich zu orientieren, und die Orientierung gelingt! «Es ist hier für uns die ungeheure Gefahr, feine Unterschiede machen zu wollen.» (im Sinne von: sich verzetteln).
Der Mensch hat die Wahrheit (Wissen) nie im unbedingten (absoluten) Sinne: «Es ist die Wahrheit nur insofern, als es eine unwankende [stabile] Grundlage seiner Sprachspiele ist.» Beispiel: «Wir sagen, wir wissen, dass das Wasser unter den und den Umständen kocht und nicht gefriert. [...] Was immer in Zukunft geschehen mag, ... , wir wissen, dass es sich bis jetzt in unzähligen Fällen so verhalten hat. Diese Tatsache ist in das Fundament unseres Sprachspiels eingegossen.» Sprachspiele "stehen da" wie das Leben. Sie sind weder vorhersehbar, noch begründet, noch vernünftig, noch unvernünftig.

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Unsinn
«Scheue dich ja nicht davor, Unsinn zu reden! Nur mußt du auf deinen Unsinn lauschen.» Der Begriff des Unsinns (im Sinne von 'bedeutungslos', nicht im Sinne von 'offensichtlich falsch') steht im Zentrum der Logik. Ob ein Satz wahr ist, wird bestimmt davon, wie es sich verhält. Welche Zeichenfolgen sind Sätze, die die Wirklichkeit wahr oder falsch darstellen können? Philosophie ist ein kritisches Geschäft (Kant), das die Grenzen zu ziehen versucht zwischen gesicherter (z. B. naturwissenschaftlicher) Rede und ungesicherter (z. B. metaphysischer) Spekulation. Sie will «dem Ausdruck der Gedanken eine Grenze ziehen. [...] Die Grenze wird also nur in der Sprache gezogen werden können und was jenseits der Grenze liegt, wird einfach Unsinn sein.»
Als Sätze-im-Gebrauch sind Gedanken Satzzeichen in ihrer abbildenden Beziehung zur Welt. Infolgedessen können Gedanken in der Sprache vollständig ausgedrückt werden. Logik stellt die Grenzen des sprachlichen Ausdrucks von Gedanken fest und zieht damit dem Denken eine Grenze.
«Wir können nichts Unlogisches denken, weil wir sonst unlogisch denken müßten.» Logik enthält die notwendigen Vorbedingungen für Denken. Die Grenzen des Denkens können nicht durch Sätze gezogen werden, die über beide Seiten der Grenzlinie reden, sondern nur von innen. Ein System von Zeichenregeln, die Grammatik, bestimmt, ob eine Zeichenverbindung ein Satz (d. h. tauglich zur Darstellung eines möglichen Sachverhalts) ist oder nicht.
Die Grammatik selbst kann nicht in sinnvollen Sätzen ausgedrückt werden. Die Grenzen des Sinns können nicht in philosophischen Sätzen gesagt werden, sondern zeigen sich selbst in der logischen Form nichtphilosophischer Sätze.
Die Sätze der traditionellen Metaphysik sind Unsinn, weil sie auf Missverständnissen der Grammatik gründen. Die Sätze der Wittgensteinschen Philosophie hingegen bemühen sich um Einsicht in das Funktionieren der Grammatik. Indem sie das aber tun, versuchen sie zu sagen, was nur gezeigt werden kann. Es handelt sich bei ihnen also um Scheinsätze, um erhellenden Unsinn.

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Warum? Wozu?

Noch ein Glossar? Warum? Wozu? Und: Wittgenstein? Ausgerechnet! Berufsphilosophen mögen sich beruhigen: Dieses "Wörterbuch" will keineswegs einschlägiger Fachliteratur Konkurrenz machen, sondern dient ausschließlich der persönlichen Orientierung des Urhebers, der sich schon seit etlichen Jahren mit dem zerfaserten (zerfahrenen?) Werk des Österreichers beschäftigt. Nicht so sehr Wittgensteins Untersuchungen zur formalen Logik oder zu den Grundlagen der Mathematik interessieren mich dabei, sondern seine Beiträge zu einer Lebensphilosophie. Ich verstehe hierunter den Versuch einer ganzheitlichen Konzeption der Lebensführung, weniger ein intellektuelles Konzept dessen, was das Leben sei bzw. ausmache. Nun, wer braucht sowas? Vermutlich nur Menschen, die etwas von Wittgensteins egozentrischer (manche vermuten gar: autistischer) und kontemplativer Natur in sich tragen bzw. in sich ausbilden möchten. Ist dies "sozialverträglich"? Jein.

Die Vorlage des Glossars bildet die deutsche Ausgabe von A Wittgenstein Dictionary des deutschen Philosophen Hans-Johann Glock, Oxford 1996, die ich als Leitfaden durch die manchmal labyrinthischen Gedankengänge L. W.s verwendete. Glocks Begriffsklärungen dienten mir dabei als Ausgangspunkt eigenen Verstehens in (möglichst) selbständigen Formulierungen.

Wittgenstein-Zitate stehen zwischen spitzen Anführungszeichen («...»), auf Quellenangaben habe ich aus Gründen der flüssigen Lesbarkeit des Textes verzichtet. Die Belegstellen folgen jedoch weitgehend den Angaben bei Glock.

Eibelstadt, Juni 2002, rev. September 2008

Stefan Hetzel

Ergänzung 2012-11-11: Vor kurzem habe ich einen Essay zum Thema "Ludwig Wittgenstein und die Musik" geschrieben. "Musik" ist natürlich kein philosophischer Begriff und gehört deswegen nicht hierher, aber L. W.s Auseinandersetzung mit dem Phänomen Musik war durchaus (auch) eine philosophische und kann deshalb ein erhellendes Licht auf die hier diskutierten zentralen Begriffe seiner Arbeit werfen.