Rigobert Dittmann

Anmerkungen zu Felix Klopoteks Textsammlung "how they do it"

Buchcover von «how they do it»

Warum kommt mir how they do it - Free Jazz, Improvisation und Niemandsmusik so halbherzig, lau und mau vor? Liegt es an der kompilatorischen Zweitverwertung von diversen Artikeln und Vorträgen? Habe ich erwartet, etwas Neues über das 'Prinzip Freiheit' und über Dinge, so ernsthaft wie's Leben zu erfahren? Felix KlopotekDer von mir als GROB-ian unter Popsimpeln geschätzte TESTCARD-, JAZZTHETIK- und Ex-SPEX-Autor Felix Klopotek (*1974) schreibt etwas verkatert [1] über Free Jazz (Cecil Taylor, Fred Anderson, Charles Gayle, Franz Hautzinger, Klaus Theweleit [sic!]), über 'obskurantistische' politisierte Neue Musik (den Post-Serialismus von Cornelius Cardew, AMM, Keith Rowe) und über die Gitarrenrenaissance (Derek Bailey, Eugene Chadbourne, Olaf Rupp), über seine Flirts mit Electronica (Christian Fennesz, Mouse On Mars, Microstoria, Rafael Toral, Turntablism, Voice Crack, Squarepusher), Post-Postmoderne (Gastr Del Sol, Jim O'Rourke, David Grubbs) und Rock Power (Godspeed You Black Emperor!, Interview mit Markus Acher, Thomas Weber und Christoph Kurzmann über den Indiejazz der Jahrtausendwende). Abgerundet wird das Ganze durch ein "Fragment zur Kanonisierung" und einen "Versuch über das Rauschen". Klopotek geht offenbar davon aus, eine diesen Musiken zugrundeliegende "Dichotomie von Spontaneität, Unmittelbarkeit, Non-Linearität und Zufall auf der einen Seite und Geschichte, soziokulturellem Kontext und Willen auf der anderen" aufzeigen zu können. Ich höre darin die alte Nachtigall von Engagement vs. l'art pour l'art trapsen [2], meinetwegen noch Richard Rortys Spannungsfeld aus Kontingenz und Solidarität. Seine ungenierten Idiosynkrasien nehme ich Klopotek dabei nicht krumm, aber das quengelige 90erJahre-, Stockhausen- [3] und Postrock-Bashing, mit dem er seine Analysen anzureichern versucht, wirkt auf die Dauer ziemlich moralinsäuerlich, sozio-ideologisch und halbtaub. Stockhausen'Man' benörgelt das Ende der Pop-Geschichte, vermisst neue Trends und etwas Politisches, sagt Ja zum Vielleicht und hört wieder Rock... schluck. Ist Weit-Draußen-Sein, Anschlussunfähigkeit, Diskursunfähigkeit, bzzzp oder krrrchtzz freiwillig-unfreiwillig gut oder schlecht oder nur aha? "Was liegt jenseits des Songs noch im Rahmen des Spielbaren / Realisierbaren"? Wie komme ich zu einer Verbindlichkeit "jenseits der Dichotomie von Autoritarismus und Laissez-Faire"? 'Man' (= Klopotek als prototypischer Vertreter eines "jungen Bildungsbürgertums unter den Bedingungen eines neo-liberalen und maximal flexibilisierten Globalkapitalismus") weiß es nur bedingt. Musik ist schließlich ein weiter Wiesengrund. Man (= diesmal nur ich) liest ein Lob der 'Flachheit' (Keith Rowe) und des 'Schwachen' in der Musik (Institut für Feinmotorik) und des Einfachen, das schwierig zu machen und das das Gespenstische der (improvisierten) Musik ist. Klopotek reflektiert über die Bedingungen der Möglichkeiten und sitzt zwischen den Stühlen des Funktionalen und des Utopischen - unbequem. Er schreibt skrupulös; was er sagt, wirkt durchaus wie der Nachhall nachhaltiger Aha-Erlebnisse, seine Porträts sind prägnant, seine Interviews informativ. Aber warum wickelt er sich so krampfhaft in das Mäntelchen der Seriosität und der Kompetenz? Weil jeglicher Enthusiasmus gegen das Ideal der Flachheit und der Horizontalität verstoßen würde, das in Stockhausens vertikalem [4] Erlösungspathos [5] seinen verachteten Gegenpart meint erkennen zu müssen? Diese Aversion geht tiefer als die Dichotomie zwischen zwei unterschiedlichen Sprachspielen, ist aber offensichtlich nur aufrecht zu halten um den Preis eines musikalischen Masochismus (à la Derek Bailey, Keith Rowe, Dachte Musik, Franz Hautzinger, Radian etc.). Im Übrigen scheint der analytisch-digitale Ansatz, der als McGuffin zum Einsatz kam, bestenfalls als Sortiermaschine im Überbau und Drumherum, aber nicht im musikalisch Analogen selbst zu taugen. Alle Demarkationsversuche des Ocean of Sound mit Cardew vs. Stockhausen- oder Ayler vs. Coltrane-Gräben bleiben - grobe Schildbürgerstreiche.

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Fußnoten

[1] Im INTRO 100 11/02 spricht Klopotek von einem "Abschiedsbuch" und dass sich seine "emphatische Begeisterung für Free Jazz abgeschliffen" hätte.
[2] Sogar der im "Stahlbad des Fun" notorisch uncoole Teddy Adorno hat einst - 1964 - in einem Briefwechsel mit Peter Rühmkorf gegen eine solch simple Dichotomie Einspruch erhoben und eine Lanze für einen selbstreflexiven "Formalismus" gebrochen (Peter Rühmkorf: Die Jahre, die ihr kennt. Rowohlt 1999, S.223ff)
[3] Selbst Klaus Theweleit springt inzwischen über seine Schatten und bringt zum GröKaZ-Enthusiasmus Stockhausens erstaunlich Reflektiertes zu Papier (Stockhausen und der Kunstterrorismus. In: Der Knall. Stroemfeld Verlag 2002), während Klopotek offenbar einen Popanz braucht, als der ihm sein monolithisches Stockhausenzerrbild taugen soll . Einen größeren Beißreflex als Stockhausen scheint bei Klopotek nur noch "der Nazi" Heidegger auszulösen (INTRO 100, S.142). Nur damit die Welt nicht aus dem Gleichgewicht gerät, möchte ich dem entgegenhalten, was Peter Weibel gegenüber Friedrich Kittler gegrummelt hat: "Man wird mich nie dazu bringen, ein Wort gegen Heidegger zu sagen." (Friedrich Kittler: Short Cuts. Zweitausendeins, 2002, S.84) Ich würde von all dem nicht reden, wenn es mich nicht skeptisch und traurig machen würde, wie derart mit 'ideologiekritischen' groben Keilen ins kontingente Feld der Ästhetik gepfuscht wird. Mir geht die Frage nicht aus dem Kopf, was die Klopoteks dieser Welt eigentlich hören, wenn sie Musik hören.
[4] "Die Arbeit an und in der Vertikalen kann nicht gewonnen werden." (Dietmar Kamper) Aber ist das ein Grund?
[5] Hier eine gekürzte Fassung von Stockhausens Bemerkungen zum 11. September 2001, zitiert nach Theweleit: "Was da geschehen ist, ist - jetzt müssen Sie alle ihr Gehirn umstellen - das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat. Daß Geister in einem Akt etwas vollbringen, was wir in der Musik nicht träumen können, daß Leute zehn Jahre üben wie verrückt, total fanatisch für ein Konzert und dann sterben. Das ist das größte Kunstwerk, das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos. Stellen sie sich das doch vor, was da passiert ist. Da sind also Leute, die sind so konzentriert auf eine Aufführung, und dann werden 5000 Leute in die Auferstehung gejagt, in einem Moment. Das könnte ich nicht. Dagegen sind wir gar nichts, als Komponisten. Stellen Sie sich vor, ich könnte jetzt ein Kunstwerk schaffen und Sie wären alle nicht nur erstaunt, sondern Sie würden auf der Stelle umfallen, Sie wären tot und würden wiedergeboren... weil es einfach zu wahnsinnig ist. Manche Künstler versuchen doch auch über die Grenze des überhaupt Denkbaren und Möglichen zu gehen, damit wir wach werden, damit wir uns für eine andere Welt öffnen... Wo hat er mich hingebracht, Luzifer...ist das nicht ungeheuer, was mir da eingefallen ist auf einmal? ... ist ja irre ..." Wem das nach monströsem Geschwafel klingt, der sollte sich ein Licht aufstecken lassen durch folgende Zeilen eines der vernunftorientiertesten Köpfe in finsteren Zeiten, des Ultra-Kantianers Salomo Friedlaender (Mynona): "Wer sich auf die Kunst versteht, das zentrale Ich elastisch zu erschüttern (so dass schliesslich der Todes- zum Freudenschreck werden kann), ist Humorist im allerweitesten Sinne. Es muss also scheinen, als solle das Ich aus der Fassung geraten, aber nur um es tatsächlich diese Fassung erst recht wiedergewinnen zu lassen. Und so vermute ich in der Weltgeschichte einen Witz, einen Treppenwitz, über den wir einmal ewig lachen. Es gibt ja nicht nur Argwohn, sondern auch... Wohlwohn ... Diese scheintote Macht (gemeint ist die Macht des Ich, zur Vernunft zu kommen) kann kein anderer erwecken, sie soll und kann sich selber lebendig elektrisieren und bedeutet dann den wahren Todesblitz gegen dieses Gespensterleben: Auferstehung des Menschen, der Menschheit, Beginn des echten Lebens, der echten Natur anstelle dieser verwunschenen: autonom intendierte Praxis: Kultur, Kunst, Magie statt dieser technisch-kriegerischen Zivilisation..." (Salomo Friedlaender an Alfred Kubin 24.01.38 / 08.05.38. In: Briefwechsel, 1986) An dem 'Kein anderer kann's' scheiden sich die Geister, nicht daran, dass es um "Todesblitz" und "Auferstehung" geht. Um "Auferstehung in der Zeit", wie Ernst Jünger explizierte. Aber der war ja auch so einer, der einem ein E für ein U vormachen wollte. Was aus Humor oder gar 'Wohlwohn' geworden ist im Popdiskurs über den 'richtigen' Popkurs, das frage ich wohl besser nicht.