Stefan Hetzel
Interaktivität
Dramolett
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Intro
Das SPARKASSEN-MAGAZIN #6/97 weiß, "warum neue Bilder und Töne aus dem Computer ein kreatives Thema der Zeit sind". Ein "Wandel der Wahrnehmung" stehe an. Gähn. Schon wieder? Noch 'ne Moderne? Wozu? Für wen? Und: - wer soll das alles bezahlen, diesen ganzen Maschinenkram? Nun, selbstverständlich die Sparkassen, die ihren jungdynamischen Kunden mit günstigen Kleinkrediten jederzeit den Weg in "Kreativität ohne Konvention", in eine "komplexe Kommunikationskunst" bahnen werden. Schließlich stellt die Ars Electronica einen "Zeitsprung in die Zukunft" dar, Cyber Art ist die "Galerie der Gegenwart", Museen präsentieren ihre Werke jetzt schon im Web, Fotografen werden zu Gestaltern von "Bildern aus Bits & Bytes" (Tod der Alliteration!) und, last not least, die Musik wird zu einer: - "Symphonie der Synthesizer." Man höre. Man staune.
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Personen:
Der Humanist (H)
Der Technokrat (T)
Der Kompositionsschüler (K)
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Erste Szene
Der Kompositionsschüler, ein junger Mann studentischen Habitus', hockt verkrümmt vor einem ATARI-ST-Computerbildschirm und starrt auf öde Kolonnen schwarzer Zahlen auf weißem Grund. Er ist von dünnem, anämischen Aussehen. Sein Haar ist lang, ungeordnet und fettig. Aknepickel zieren seinen Teint. Das MIDI-Studio ist vollgestopft mit musikerzeugender High Tech. Es herrscht eine nachlässige Unordnung und ganz allgemein ein schmuddeliges Chaos. Man schreibt das Jahr 1990.
K Eintausendvierhundertzweiundreißig ... Tja. - - - Aber warum?
Auftritt Humanist und Technokrat. Der Erste ist von dürrer, aber zäher Gestalt und hat etwas von einem Asketen. Seine Oberlippe ziert ein Bärtchen. In Erregung geraten, fuchtelt er mit Händen und Armen herum. Der Zweite gibt sich jovial-gemütlich. Er ist eher korpulent zu nennen und zeichnet sich während der Diskussion durch exzessiven Zigarrengenuss aus.
fade in H ... geschätzter Kollege, so können Sie das doch nicht ausdrücken! So doch nicht!! Nicht die Maschine macht die Musik, sondern der Mensch - das Subjekt! Wie denn auch sonst?
T völlig ruhig Selbstverständlich. Jeder Formalismus kann nur wiedergeben bzw. synthetisieren, was ihm eingegeben wurde. Er hat selbstverständlich keine eigene Ingeniosität, sondern bekommt sie sozusagen von seinem Programmierer implementiert.
H triumphierend ... geliehen wollen Sie wohl sagen, geliehen!
T weiter ruhig ... implementiert. Der Formalismus funktioniert dann in der Interaktion vollkommen autark, es wird nicht mehr in die ablaufende Routine eingegriffen.
H aufgebracht Sehen Sie, das meine ich: Sie übergeben sich ohne Not einem wie auch immer gearteten Formalismus, so einem ... sucht nach Worten ... Homunculus, sie geben freiwillig Verantwortung auf und stellen das dann auch noch als Fortschritt, als Avantgarde hin. Grotesk! Für mich ist das finsterstes Mittelalter.
T aufmerksam geworden Das müssen Sie näher erklären.
H dozierend Ebenso wie die Computermusik war die mittelalterliche Scholastik ein in sich geschlossenes System aufeinander abgestimmter kognitiver Prozesse, das nur funktionierte, weil sein zugrundeliegendes Axiom, der christliche Glaube nämlich, nicht in Frage gestellt werden durfte und ...
T ins Wort fallend ... und was ist bitteschön das unantastbare Axiom der Computermusik?
H kühl Die Substitution des Subjekts durch die Maschine.
T aufgebracht Also nicht in meiner Musik. Für mich ist der Rechner lediglich ein Hilfsmittel, ein Tool, um kompositorische Probleme zu lösen, die mich in Handarbeit Jahre kosten würden. Mit dem Rechner erledige ich dasselbe in ein paar Wochen!
H spöttisch Ach, dann ist ästhetische Qualität für Sie also eine Frage des quantitativen Aufwands?
T defensiv Neinein, so meine ich das natürlich nicht. Obwohl ich schon der Meinung bin, dass Sorgfalt und hoher Zeiteinsatz langfristig in handwerkliche Gediegenheit umschlagen.
H mit gespielter Großzügigkeit Dagegen habe ich ja gar nichts. Meinetwegen können Sie an Ihren Algorithmen herumfriemeln, bis Sie schwarz werden. Nennen Sie das Ergebnis nur bitte nicht musikalische Komposition.
K saß die ganze Zeit stumm vor dem ATARI, starrte auf den Bildschirm, wurde schließlich auf seine disputierenden Lehrer aufmerksam, lauschte mit zunehmendem Interesse ihrem Gespräch. Jetzt will er auch etwas sagen.
K vorsichtig Herr Professor, ich glaube, ich habe die Tonhöhenvalenzen jetzt im Griff.
T auf den Bildschirm starrend Brav, brav.
H empört ... Tonhöhenvalenzen im Griff ... Allein diese Sprache zerstört für mich jegliche Berechtigung, hier auch nur im Entferntesten von ästhetischen Phänomenen, geschweige denn von Kunst zu reden!
T verärgert Herr Kollege, ich bitte Sie dringendst, sich zurückzuhalten! Maßen Sie sich doch kein Urteil über Dinge an, von denen sie erklärtermaßen nichts verstehen wollen.
H nach Luft schnappend, aber stumm bleibend.
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Zweite Szene
Ein paar Stunden später. Man sitzt im Plastik-Café der Musikhochschulmensa. K wie immer zwischen H und T. Der Austausch der Argumente geht weiter. K übernimmt kurzfristig die Initiative.
K Also ich finde Komponieren am Computer spannend. Man weiß ja nie so richtig, was dabei herauskommt und wie die Maschine reagiert. Außerdem kommt man sich großartig dabei vor, so mächtig, fast ... allmächtig ...
H einschmeichelnd ... wie: --- Gott, wollen Sie sagen?
Bevor K antworten kann, fährt T dazwischen Provozieren Sie unseren jungen Mann bitte nicht zu unbedachten Aussagen, die Sie dann wieder in ihre postmarxistischen Spekulationen einbauen können! Das ist ein hochbegabter junger Mathematiker, dessen Entwicklung ...
H beleidigend ... noch nicht abgeschlossen ist, ich weiß. Aber unter Ihrer Obhut, Herr Kollege, da bin ich mir ganz sicher, wird er sicherlich noch zum Nobelpreisträger reifen. Und zum, mit Verlaub, perfekten Fachidioten, der es gründlich gelernt hat, die Welt komplett verkehrt herum zu sehen!
T irritiert Was meinen Sie?
H auftrumpfend Kybernetische Kunst ist geradezu die Inkarnation dessen, was der Kleinbürger gemeinhin unter Moderner Kunst versteht: die Materialisierung eines beschränkten Bewusstseins. Ich finde es, schlicht gesagt, pervers und unanständig, wenn Intellektuelle der westlichen Zivilisation auch noch Spaß daran haben, die Instrumentalisierung ihres eigenen Denkens voranzutreiben!
K aufbegehrend Äh...
T despotisch Halten sie jetzt mal den Mund! sanft Verehrter Herr Kollege, Ihre Habermas-Paraphrase in allen Ehren, aber sie kämpfen hier doch ganz offensichtlich gegen Windmühlen ...
H leicht resigniert ... digitale Windmühlen ...
T tief Luft holend Ich mache das nicht gerne, aber sie zwingen mich dazu: Ich hole zum großen theoretischen Gegenschlag aus.
H sich ironisch im orangefarbenen Plastikstuhl zurücklehnend Na da bin ich aber mal gespannt.
T mit weit ausholender Gebärde Wissen Sie, was der tiefere, ich gebe zu: außermusikalische, Grund für den Erfolg von Computermusik ist?
H lässig, aber innerlich unruhig werdend Ihre Trivialität?
T sehr ruhig Nein. Es handelt sich um die Ablösung von Interaktion durch Gesellschaft.
H verständnislos Aha.
T dozierend Interaktion, das heißt in Bezug auf Musik der sogenannte lebendige Austausch lebendiger Individuen, wird eine immer geringere Rolle beim Lösen gesellschaftlicher, also auch: musikalischer Probleme spielen.
H gelangweilt Tod des Subjekts oder was?
T sicherer werdend Auch. Aber langsam, bevor wir in die unvermeidliche postmoderne Beliebigkeit abrutschen.
H frech Sind wir doch schon.
T verärgert, majestätisch Ich bitte Sie, mich jetzt nicht zu unterbrechen! - - - Wo war ich, ach ja: ich möchte sogar soweit gehen, zu sagen: ohne die gesellschaftliche Belanglosigkeit des Aufhörens der allermeisten Interaktionen wäre keine gesellschaftliche Evolution möglich.
H fassungslos Das ist zynisch und menschenverachtend, was sie da sagen!
T gelassen Das ist nicht zynisch, das ist Luhmann.
H lässt Luft ab Achso.
T verärgert Mögen Sie Luhmann nicht?
H kühl Achmeingott, ein vereinsamter Witwer im Bielefelder Reihenhaus.
T aufgebracht Das ist unfair! Das geht unter die Gürtellinie. Ich werfe ja Habermas auch nicht seine entstellte Physiognomie ...
H rasch einlenkend O.K., fahren Sie fort.
T wieder Tritt fassend Die Gesamtheit der Interaktionen ist nichts als basale Anarchie, sie ist lediglich das Spielmaterial gesellschaftlicher Evolution.
H ratlos Und was hat das mit moderner Musik zu tun zum Teufel?
T unbeirrt Die postmoderne, das heißt die ausdifferenzierte Gesellschaft erlaubt auf der Ebene der Interaktion ein hohes Maß an okkasioneller, alltäglicher Aktivität, die jedoch als mehr oder weniger trivial empfunden werden muß, weil sie sich an gesellschaftliche Hochsemantik nicht mehr anschließen läßt. Der Eindruck der Trivialiät tritt ja eben gerade nicht innerhalb hochgezüchteter Funktionsbereiche auf, sondern dort, wo Aktivitäten ihren Anschluß an diese Bereiche verlieren. Das Problem der Trivialität ist ein Problem des Interface zwischen Gesellschaft und Interaktion.
K bewundernd Klingt toll. Aber was bedeutet es? grübelt eine Weile Meinen Sie etwa, Herr Professor, dass eine Gesellschaft mit zunehmender Komplexität immer mehr sinnlose Kommunikation produziert?
T saugt an seiner Zigarre Exakt.
K eifriger werdend Und der Computer kehrt diese Tendenz um?
H laut werdend, gestisch Techno-Faschismus! Maschinen-Animismus! Tiefste Menschenverachtung!
T beschwichtigend Beruhigen Sie sich, werter Herr Kollege. Sie stimmen mir doch darin zu, dass sich die Eigenprobleme hochkomplexer Gesellschaftssysteme weder auf Individuen noch auf deren Interaktionen zurückführen lassen, oder?
H immer noch aufgebracht Da stimme ich Ihnen keineswegs zu! Vielmehr bin ich der Meinung, achwas: ich bin der tiefsten Überzeugung, dass eine Gesellschaft nur durch konstruktive Interaktion ihrer Mitglieder Probleme bewältigen kann!
K studentisch frech Helmut Kohl sagt auch immer: Wir müssen die anstehenden Probleme gemmeinnsamm anbaggen.
H gestört Ach seien sie doch still, sie, sie ... zahlentheoretischer Homunculus!
T entspannter werdend Wieso, unser junger Mann hat doch recht. Der permanent wiederkehrende Appell unseres Bundeskanzlers an das gesellschaftliche Wir ist doch nicht mal mehr als Realsatire unterhaltsam. Lediglich in archaischen Verhältnissen wurde doch Gesellschaft durch Interaktion ersetzt: alle sozialen Formen wurden okkasionell gefunden, blieben an konkrete Lokalisierungen gebunden und mussten präsent sein, um wirken zu können.
H erstaunt Sie fällen da gerade ein ziemlich hartes Urteil über einen Großteil der Improvisierten Musik ...
T unbeirrt ... und außerdem wird die Entstehung der Bedingtheiten eines Interaktionssystems sowieso erst durch die Selbstbezüglichkeit eines Gesellschaftssystems erzeugt.
H verwirrt Ich war immer ein entschiedener Verfechter von Adornos Musiksoziologie, aber was sie da präsentieren ...
T auftrumpfend ... ist Musiksoziologie reinsten Wassers ...
K vorwitzig ... die allerdings zu entgegengesetzen Ergebnissen kommt.
H in plötzlicher Theatralik herumfuchtelnd Wo bleibt das Subjekt? Wo bleibt die Vermittlung von Sinnlichkeit durch ästhetische Konstrukte? Wo bleibt: - - das Leben?
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Dritte Szene
Wieder im MIDI-Studio. T hat sich am ATARI breit gemacht. H steht grübelnd hinter ihm, den Kopf in die Hand gestützt. K lehnt lässig am Drucker.
H sich fassend, in dunklem Trotz Die Ersetzung des Komponisten durch den Rechner ist doch nichts als wissenschaftlich ermöglichte Gewalt technischer Verfügung. Technisches Wissen und ästhetische Erfahrung klaffen so immer weiter auseinander. Es scheint, als ob diese Schritte es darauf abgesehen hätten, ästhetisches Denken gezielt zu liquidieren.
T unbeirrt, gelegentlich an der Zigarre saugend Ich arbeite nicht mit dem Computer, weil ich ihn so gerne habe, weil ich gerne programmiere oder experimentiere. Ich gehe von einer Kompositionsproblematik aus, die nur von einem Rechner gelöst werden kann. Es gibt Stücke, in die ich so viel investieren muss, dass ich das viel lieber der Maschine überlasse. Immerhin kostet es enorm viel Zeit, die Fragestellung dem Rechner überhaupt ... wie soll ich sagen ... beizubringen.
K altklug Mit EDV geht alles schneller, es dauert nur länger, hehe.
T klug Es geht also lediglich um die Verlagerung von, äh, kompositorischen Subroutinen in den Formalismus.
H echt traurig Der Anfang vom Ende humaner Kunst!
T jetzt sehr sicher Sehen Sie, geschätzter Kollege, ich improvisiere mit dem Rechner wie Charlie Parker mit seinem Saxofon. Allerdings auf einer viel höheren Ebene. Es handelt sich quasi um Hyperimprovisation.
H abwesend ... Hyperspace, Hyperaktivität ...
T fortfahrend Selbstverständlich tun Komponisten nur so, als wäre das, was der Rechner hervorbringt, eine intelligente Antwort auf die Anforderungen, die man ihm stellt.
H sinnierend, traurig ... Maschinensklaven ... Zauberlehrlinge ... bedauernswerte Kreaturen, die sich von intelligenten Waschmaschinen vorschreiben lassen, was sie spielen sollen ...
T unbeirrt, nicht ohne Arroganz Selbstverständlich hat der Computer kein Gefühl, aber in der Musik, die der Computer spielt, steckt Gefühl. Die Algorithmen, die ich programmiere, sind doch meinen gefühlsmäßigen Erkenntnissen abgewonnen!
K kann einhaken Man muss immer ganz nah an der Alltagserfahrung bleiben, um saubere musikalische Intelligenz zu erzeugen!
T bestätigend Richtig. Es geht darum, Musiker zu inspirieren durch musikalische Prozesse, die mit Hilfe, ich wiederhole, mit Hilfe einer Maschine überhaupt erst ausformuliert werden können.
H resigniert Sie meinen also, der kreative Musiker des ausgehenden 20. Jahrhunderts braucht einen digitalen Einlauf, um wieder ... Einen hoch zu kriegen?
T süffisant Das haben Sie jetzt aber schön formuliert, so überhaupt nicht didaktisch, das hätte fast von mir sein können. Ausnahmsweise treffen Sie hier den Nagel auf den Kopf, werter Herr Kollege.
H kommt wieder zu sich Ist ja gut. Ich kann ja auch nichts verbieten. Tun Sie nur, was sie nicht lassen können. Aber bedenken Sie dabei auch Folgendes: Computer wurden ausschließlich erfunden, um zweckrationale Prozesse zu beschleunigen.
K freut sich, auch mal etwas beitragen zu können Zum Beispiel die Finanzbuchhaltung!
H fühlt sich bestätigt ... richtig, die Finanzbuchhaltung. Was aber hat eine musikalische Komposition mit Finanzbuchhaltung gemeinsam?
T will auf diese rhetorisch gemeinte Frage eine ernsthafte Antwort geben Nun, eine ganze Menge. Es gibt da gewisse Parameter ...
H ihn barsch unterbrechend, den Zeigefinger zur Decke reckend Nichts haben sie gemeinsam, rein gar nichts! Musik ist zweckrational nicht zu fassen, und wenn sie es doch ist, ist es ein Quark, aber keine Musik! Ihr blödes Tool können Sie sich in den Arsch schieben! Methodologisch gesprochen leugnet alle Computermusik das, was ich ästhetische Differenz nennen möchte.
T paffend, gibt gelangweilt ein paar Daten ein Das sagten Sie bereits. Allerdings sind Sie uns eine Definition dieser ominösen ästhetischen Differenz bisher schuldig geblieben.
H eifrig ... was ich sofort und auf der Stelle nachliefern werde: Kompositorisches Denken vermittelt, ich habe das vorhin schon einmal angedeutet, den Gedanken mit der Sinnlichkeit, und dieser Vermittlungsprozeß setzt sinnliche Erfahrung des Kunstwerks in statu nascendi voraus ...
K grübelnd Im Augenblick der Entstehung... in Echtzeit...
H beiläufig Ich freue mich, junger Mann, dass sie neben Englisch wohl doch auch noch ein bisschen Latein verstehen.
T brutal die Tastatur bearbeitend Ästhetische Differenz hopphopp!
H indigniert Nun, Form ist eben kein Verteilungsplan von Klangobjekten. Sie ist das Irreale, dessen sich selbst der Komponist nicht vollständig bemächtigen kann. - Computermusik in meinem Sinne dagegen befördert ultrastabile Tendenzen, sowohl in der Musik wie in der Gesellschaft.
T einhaltend Ultrastabil?
H triumphierend Darauf läuft doch Ihre Kybernetik hinaus, oder? Auf ein Fließgleichgewicht heterogener Kräfte. Thermodynamisch formuliert: Komponieren mit dem Computer befördert die Entropie, anstatt sie zu bekämpfen.
T nachdenklich geworden, steht auf Trotz meiner entgegengesetzten Meinung kann ich Ihren Gedanken eine gewisse Brillanz nicht absprechen ... wenigstens im Augenblick.
H voll in Fahrt Was ist denn also Computermusik anderes als einfach Muzak für verschrobene Intellektuelle, die Komponieren als Home-Game betreiben und deren Elaborate im günstigsten Fall damit beschäftigt sind, dem Zuhörer den Prozeß ihres eigenen Zustandekommens zu demonstrieren? Der Zufall, den jene Musik domestizieren wollte, wendet sich gegen sie selbst und macht sie schlußendlich zu einer jener vollkommen beliebigen Klanglandschaften, die unbemerkt im allgemeinen akustischen Chaos untergehen.
T sondert stumm kleine Rauchkringel ab, steht schweigend in der Mitte des Raumes.
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Vierte und Letzte Szene
Die drei handelnden Personen vor dem Musikhochschulgebäude, einem klotzigen Betonbunker der 70er Jahre. Alle sind vom ewigen Diskutieren erschöpft und wollen ihre Ruhe. Doch T will noch etwas loswerden.
T subversiv Herr Kollege, ich verrate Ihnen jetzt ein Geheimnis.
H spöttisch Sie haben Geheimnisse?
T vertraulich Sie werden überrascht sein, aber: - wissen Sie ... eigentlich verstehe ich mich überhaupt sehr wenig als Komponist. Wenn ich ein Stück komponiere, bin ich zwar sehr zufrieden damit, das hat aber keinen Stellenwert für meine Selbsteinschätzung. Ich bin, das sagte ich bereits, kein Freund der Technologie an sich, ich bin lediglich dazu gezwungen, sie zu benutzen. Ich höre zunächst etwas im Kopf und versuche, das dann zu realisieren. Ich suche nicht Techniken, die mich weiterbringen. Ich habe ja gar nichts von einer Technik oder einer Theorie, wenn ich nicht vorher schon genau weiß, wozu ich diese benutzen werde.
H triumphierend Sieh an, der Technokrat verteidigt die gute alte Intentionalität ...
T unbeirrt fortfahrend Der Computer zwingt mich doch gar nicht zu einem Neuen Denken in der Musik, weil es angeblich keine Grenzen mehr gibt. Man kann doch gar nicht alles machen! Die Komponisten schimpfen doch immer, weil der Computer zu wenig kann. Allerdings zwingt einen der Computer zu einer anderen Arbeitsweise. Man muss disziplinierter sein. Man muss Dinge in einer etwas fremden Weise formulieren können ...
H erleichtert Also alles Alter Wein in neuen Schläuchen?
Langes Schweigen.
H, den K einladend anblickend Was sagen Sie dazu, als Vertreter der jungen Generation?
K kopfschüttelnd Ich sehe das alles gar nicht so kompliziert. Die Leute benutzen halt das, was da ist.
Man zerstreut sich, zerstreut.
Tonträger
Tonträger mit Computermusik, die mich zu diesem Text wesentlich angeregt haben, sind
- Klarenz Barlows Relationships for Melody Instruments (WERGO WER 2010-50) von 1974, realisiert 1986. Michael Riessler und Jaki Liebezeit kämpfen gegen den (ein bisschen auf Sitar getrimmten) Synthi des indisch-stämmigen Komponisten an. Manchmal mit Erfolg. Ich habe ein Faible für die gelegentlich atemberaubende Brillanz dieses bizarren Werks entwickelt, das die meisten wahrscheinlich nicht werden nachvollziehen können. Zu sehr fallen Barlows polyphone "Hyperimprovisation", Riesslers jazz-rock-inspirierte Bassklarinette und Liebezeits monomane Trommelei auseinander. Doch "Relationships" haftet eben jenes Moment des ästhetisch Irrealen (hier: fugenlose Amalgamierung heterogener Musiken) an, von dem H in obigem Dramolett zu sprechen versucht.
- Henning Bergs Tango & Company (JazzHausMusik JHM 85 CD) von 1996. Auf Anraten Barlows programmierte sich der gelangweilte WDR-Big-Band-Posaunist seine eigene interaktive Software, der er den leider beknackten Namen "Tango" gab. Zusammen mit dem mir unbekannten Pianisten John Taylor improvisiert Berg fleißig mit und gegen diesen seinen zahlentheoretischen Homunculus an. Wie so oft wird hier High Tech lediglich benutzt, um konservative Konzepte (hier: das einer "beschaulichen" Version improvisierter Musik) zweckrational zu beschleunigen. Würde Musik-Technologie immer auf diese Art und Weise eingesetzt, hätte Habermas tatsächlich recht mit seinem oben zitierten Verdikt, die Anwendung kybernetischer Prinzipien auf gesellschaftliche Prozesse befördere lediglich deren "Ultrastabilität" (man könnte es auch "Langeweile" nennen). So wie der Sampler den reproduzierenden, substituiert "Tango" auf dieser CD den improvisierenden Musiker.
- Richard Teitelbaums Concerto Grosso for Human Concertino and Robotic Ripieno (hat ART CD 6004) von 1985. Der Meister bringt im Booklet auf den Punkt, worum es in meinem ganzen Essay geht: continuous acceptance of real-time musical input as stimulus for interactive, responsive behaviour by the computer simultaneously modifying its output. Der zugrundeliegende techno-logische Input gleicht dem von Bergs Konzeption fast aufs Haar (beziehungsweise umgekehrt, denn Teitelbaum beschäftigt sich schon wesentlich länger mit Computermusik), dennoch befriedigt der musikalische Output ungleich stärker. Muss wohl an den beteiligten Musikern liegen, die hier (neben Teitelbaum am Flügel) Anthony Braxton und George Lewis heißen. Oswald Wiener schrieb Mitte der 60er Jahre zu diesem Thema: "die entwicklung des bio-adapters ist freilich völlig von der geisteskraft, vom mut und von der selbständigkeit des subjekts abhängig. wo das ungenügen nicht stark genug, wo die das bewusstsein ausmachenden sozialen strukturen überstark sind, da kann auch der adapter nur eine «normale» welt erzeugen." Manfred Frank würde vielleicht von der Unhintergehbarkeit von Subjektivität sprechen. Salopp formuliert: Auch der Umgang mit den Produkten angespanntester Rationalität (Habermas) macht aus guten eben keine mittelmäßigen Musiker. Et vice versa.
Literaturempfehlungen
Obige Gedanken und Argumentationslinien sind nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern entstammen den folgenden Texten:
- Klarenz Barlow: Interview
mit Michael Harenberg. In: M. H.: "Neue Musik durch neue Technik?".
Kassel 1989. Hier findet sich u. a. folgende erhellende Anmerkung des
Komponisten:
Diese [kompositorischen] Ideen kamen wieder für sich, aber ich wußte, daß mir ein Rechner dabei helfen würde. Insofern hat der Rechner auch Einfluß gehabt. Aber nicht soweit, daß er irgendwelche Ästhetiken geprägt hätte. Das kann er ja auch gar nicht. Im Prinzip kann man von der seichtesten Pop-Musik bis zu trockensten akademischen Musik alles machen.
- Konrad Boehmer: "Ausgerechnet! ... Computermusik. Für Klarenz Barlow". In: Burkhardt Söll (Hrsg.): "Konrad Boehmer: Das böse Ohr. Texte zur Musik 1961 - 1991". Köln 1993
- Jürgen Habermas: "Technik und Wissenschaft als Ideologie". Frankfurt 1973. [Zitate sämtlich nach Boehmer!]
- Niklas Luhmann: "Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Kapitel 10: Gesellschaft und Interaktion". Frankfurt 1984
Wer sich eingehender mit den philosophischen Implikationen maschinlicher Intelligenz auseinandersetzen will, sei auf folgende Texte verwiesen:
- Gotthard Günther: "Das Bewußtsein der Maschinen" Baden-Baden und Krefeld 1963
- Oswald Wiener: "Schriften zur Erkenntnistheorie" Wien und New York 1996
-
"Elektroakustische Musik &
Computermusik" von Martin Supper, Hofheim/Taunus 1997. Der
Autor zur Frage: "Was ist Computermusik?"
Der Begriff «Computermusik» bezeichnet Musik, für deren Genese die Verwendung eines Computers notwendig oder wesentlich ist. Dies gilt sowohl für die Errechnung eines elektroakustischen Klangs [= Klangsynthese] ... , als auch zur Generierung einer Partitur [= Partitursynthese] ... [Computermusik] ist kein musikalischer Stil.