[für BAD ALCHEMY 34/1999]

Dem italienischen Komponisten BRUNO MADERNA, Zeit- und Weggenosse Stockhausens, Ligetis und Feldmans, gelang mit der rund 8-minütigen Komposition "Continuo" eine derart schlüssige Vorwegnahme einer post-industriellen Klanglandschaft der 90er Jahre, dass ich schon zweimal aufs CD-Cover starren muss, um es zu glauben: "Realizzazione del 1958" steht da tatsächlich und einmal mehr stelle ich fest: wir leben in postmodernen Zeiten. Doch auch abgesehen von diesem highlight gibt es auf Musica Elettronica (STRADIVARIUS STR 33349) Einiges zu entdecken. In "Notturno" und "Syntaxis" mühte sich der in den frühen 70ern an Krebs verstorbene Venezianer, sprödestem Sinustonmaterial klangliche Interessantheit abzuringen. Das gelang nicht immer ("Notturno"), doch mitunter ballten sich die gefilterten, von Natur aus ja völlig ausdruckslosen Pfeiftöne des Generators doch zu halbwegs spannenden Figuren ("Syntaxis"). Auf "Dimensioni II" und "Le Rire" wandte sich Maderna einer Technik zu, die man heutzutage sampling nennen würde: Verfremdung und Verarbeitung gefundenen akustischen Materials. Die menschliche Stimme (wen wundert's?) hatte es ihm angetan, v. a. wohl die der Milhaud-Muse Cathy Berberian. Auf "Dimensioni II" rezitiert sie ein Lautgedicht des mir unbekannten deutschen Dichters Hans G. Helm. Zu hören ist allerdings nur Madernas "Verschnitt" (im Wortsinne) dieser Aufnahme. Die Radikalität der Materialbearbeitung dürfte auch von einem Asmus Tietchens schwerlich übertroffen werden. Einen entzückenden Nachschlag zu "Dimensioni II" stellt "Le Rire" aus dem Jahre 1962 dar: in fast hörspielartiger Weise vernimmt man einen imaginären Trialog zwischen Bruno, Cathy und Marino (=Signore Zuccheri, Madernas Lieblings-Toningenieur). Zwischendurch hört man Wasser in eine blecherne Gieskanne poltern, was die beiläufige Lockerheit dieser sehr individuellen musique concrète noch unterstreicht. Warum der Meister dann eine stockserielle Kesselpaukenetüde folgen lassen musste, bleibt sein Geheimnis ... Wer Maderna kennt, weiß, das er die Querflöte liebte. Zwei Stücke zollen auch innerhalb seines elektronisches Oeuvres dieser Passion Tribut: In "Musica su due dimensioni" gibt es einen Dialog zwischen getapeter Sinus-Elektronik und Live-Flöte (schwaches Stück), in "Serenata III" einen Tape-Dialog zwischen Querflöte und Marimbaphon. Hier endlich findet alles statt, was gute "Darmstädter Ästhetik" ausmachte: verblüffende Klanglichkeit, spannende (weil nachvollziehbare) kompositorische Entwicklung sowie jenes anrührende Gefühl existenzieller Fremdheit und Entfremdung, Tod-Traurigkeit, die Tränen in die Augen treibt. Auf die Frage, wie er ohne große technische Vorkenntnisse die klobigen Klangerzeuger seiner Zeit ästhetisch in den Griff bekommen habe, antwortete Maderna 1957: "Anstatt mich von rationalen Erwägungen leiten zu lassen, vertraute ich meiner musikalischen Intuition." [Bezugsadresse: MILANO DISCHI s.r.l., Via A.Costa 7, 20131 Milano, Italy]