[für BAD ALCHEMY 34/1999]
Sony Classical widmet dem nunmehr 76jährigen ungarischen Komponisten
GYÖRGY LIGETI eine protzig-häßlich
aufgemachte CD-Edition, um deren fünften Teil Mechanical Music (SK 62310) es hier gehen soll. Um es
gleich vorwegzunehmen: es handelt sich um Ligeti aus zweiter Hand.
Drehorgelfreak PIERRE CHARIAL und Pianola-Programmierer JÜRGEN HOCKER
richteten Keyboard-Gassenhauer des Altmeisters für ihre jeweiligen
Lieblingsspielzeuge ein. Mit unterschiedlichem Ergebnis. Fangen wir
unten an: Entbehrlich erscheinen mir Hockers Player-Piano-Bearbeitungen
einiger Ligeti'scher Klavieretüden des zweiten Bandes. Trotz
raumfüllender Tasten-Massen wirkt der mechanische Flügel einfach lasch,
langweilig und ausdruckslos. Zudem erscheint mir das Instrument
klanglich matt, die Nebengeräusche der Selbstspielapparatur machen sich
störend bemerkbar. Ligetis erklärtes Vorbild, der vor einigen Jahren
verstorbene exilierte Amerikaner Nancarrow, wurde da wesentlich besser
aufgenommen: brillanter und freier von Nebengeräuschen nämlich.
Pikantes Detail: während Nancarrow mechanische Selbstspielklaviere
verwendete, agiert Hocker high-tech-mäßig am laptop. Ästhetisch handelt
es sich darüber hinaus meines Erachtens um eine schlichte Tautologie,
wenn man Kompositionen, die die Mechanizität der Imagination zum Thema
haben, auf mechanischen Instrumenten exerziert. - In Charial findet
Ligeti einen wesentlich geeigneteren Interpreten seiner musikalischen
Ideen. Vor allem scheint dieser Ligets Musik zu lieben. Zudem kann
Charial schreiben: "Wie die Kirchenorgel ist die Drehorgel mit einem
Gebläse und Pfeifen ausgestattet; die Unterschiede liegen in der Größe
und vor allem der Tastatur. Während ein Orgelmanual jeweils 61 Tasten
umfaßt, besitzt die Drehorgel nur 42. Dabei handelt es sich alledings
nicht um Tasten im herkömmlichen Sinn, sondern um eine Reihe von
kleinen Haken, die den Lochstreifen als Grundlage des musikalischen
Programms »lesen« können - ein ähnliches Prinzip wie bei den Computern
der ersten Generation. Das Instrument stellt insofern eine Vorahnung
der »musikalischen Informatik« dar. Entsprechend erlaubt die Tastatur
einer Drehorgel das Spiel eines »virtuellen« Spielers mit 42 Fingern."
Im zarten Alter von 18 Jahren (also in den frühen 50er Jahren)
komponierte Ligeti die zehnsätzige "Musica ricercata" (sehr frei
übersetzt mit: "eingebildete Musik") für Klavier. Das Ricercar (sprich
ritschärkar) war in der italienischen Orgelmusik der Renaissance eine
Form des polyphonen Satzes, in dem immer neue Themen abschnittsweise
durch alle Stimmen imitiert wurden. Es ist verblüffend, welchen Charme
die als Fußgängerzoneninstrument allseits berüchtigte Drehorgel unter
Charials Regie entwickelt. Ligetis nun doch schon recht angejahrte
Jugendfantasie (ein recht pfiffger, um nicht zu sagen dreister Mix aus
Bartok und Frescobaldi) erklingt wie speziell für dieses Instrument
entwickelt! Steigender Lustgewinn bei mehrmaligem Hören garantiert.
Absoluter Hit: das siebte Stück mit der Vortragsbezeichnung cantabile,
molto legato (hat Ohrwurmqualitäten, ohne auf die Nerven zu gehen).
Postskript: Der Vollständigkeit halber sei's erwähnt: "Mechanical
Music" enthält noch eine Reihe weiterer Drehorgel-Adaptionen (der
Cembalo-Kompositionen der 70er Jahre "Continuum" und "Hungarian Rock"
z. B.) sowie die Fluxus-inspirierte "Sinfonische Dichtung" für 100
Metronome (sic!) aus dem Jahre 1962.