[für BAD ALCHEMY 35/2000]
In der letzten BAD ALCHEMY(=#34) schrieb ich im Rahmen meiner Besprechung des 1999er Stuttgarter Festivals für Neue Musik "Eclat": "lachenmann ist ein sehr deutscher komponist mit sehr deutschen eigenschaften. für ihn zählen leistung, disziplin & engagement. späßchen läßt er nicht mit sich treiben. für ihn gilt, was dieter hildebrandt über hans-jochen vogel sagte: »man merkt nicht nur, dass er abitur hat, sondern auch, dass man's bei ihm machen kann.« treiben tut ihn ein humanismus von gnadenloser sanftheit, gepaart mit unerschöpflichem idealismus, der, meint er ablehnung zu spüren, sofort in schroffste arroganz umzuschlagen vermag. [...] den / die möcht' ich sehen, der das schafft, ein werk lachenmanns aus ganzem herzen zu lieben, anstatt bloß zu respekt, devotion & verehrung gezwungen zu sein." Vor mir liegt die liebevoll gefertigte CD Solo Pieces (Auvidis Montaigne MO 782075) aus dem Jahre 1995, auf der Mitglieder des ENSEMBLEs RECHERCHE und HELMUT LACHENMANN selbst Kompositionen des Meisters aus Deutschland interpretieren. Um es kurz zu machen: eine klasse Platte. Lachenmann ist einer der ganz wenigen Artisten, denen ich das Attribut "radikal" sofort und ohne Umschweife zubillige. Dass ich keine Radikalen mag, steht auf einem anderen Blatt (siehe Zitat oben). Was macht Helmut so radikal? Es ist der metaphysische Ernst, mit der er die Problematisierung der Klangerzeugung zum alleinigen Thema seiner Stücke für eine/n InstrumentalistIn macht. Ob im Cellostück "Pression" aus den späten 60er Jahren oder in "Toccatina" für Violine von 1986, überall die gleiche obsessiv-asketisch-skrupulöse Haltung zum Hörbaren, ein aufs Äußerste angespanntes Nachdenken über die Daseinsberechtigung von Musik überhaupt. Lachenmanns Musik gewinnt ihre metaphysische Kraft einzig aus der gutgemeinten, aber extrem grausamen Negation konventionellen musikalischen Ausdrucks. Das Komponieren dieser Meta-Musik muss den Komponisten fertig gemacht haben, das Spielen schafft vermutlich selbst qualifizierteste Instrumentalisten, das Hören schafft jedenfalls den sonst so abgebrüht tuenden Rezensenten. "Ein Metaphysiker meint, es gebe eine Verbindung zwischen Neubeschreibung und Macht, und die richtige Neubeschreibung könne uns befreien.", so der amerikanische Philosoph Richard Rorty in seinem Ende der 80er Jahre erschienen Buch "Contingency, irony, and solidarity". Lachenmann ist in diesem Sinne ein Neubeschreiber im Namen der Vernunft, nicht im Namen der Fantasie. Rorty: "So glauben Metaphysiker, daß dort draußen in der Welt reale Essenzen existieren, die zu entdecken unsere Pflicht ist, die aber auch bereit sind, uns bei ihrer Entdeckung zu helfen." Lachenmanns Musik ist in diesem Sinne stets unterwegs zur realen Essenz des Klanglichen, sie ist immer bereit, dem Gläubigen bei ihrer Entdeckung zu helfen. "Ein Ironiker bietet keine vergleichbare Versicherung an. Er muß sagen, daß unsere Chancen auf Freiheit von historischen Kontingenzen abhängen, die nur gelegentlich von unseren Neubeschreibungen unseres Selbst beeinflußt werden." Dem kann ich nur ganz kontingent zustimmen.