[Autor: Ralf Schuster, geschrieben 2001]
Ich habe festgestellt, daß das Wort sexy in jüngster Vergangenheit sowohl gehäuft, als auch im falschen Zusammenhang verwendet wird. Wie konnte es dazu kommen? Ist das ein schlechtes Vorzeichen für das junge Jahrtausend? Ich kann mich nicht erinnern, daß in meinem sozialen Jugend-Umfeld überhaupt irgendjemand das Wort sexy benutzte. Vielleicht liegt das daran, dass ich ausschließlich mit verklemmten Intellektuellen verkehrte.
Blixa Bargeld ist ja einer von denen, die gern als intellektuell gelten möchten, aber keinesfalls als verklemmt. Um mal zu gucken, was die EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN gerade so machen, kaufte ich mir letztes Jahr ihre CD silence is sexy (Zomba Records). Zuerst war ich recht irritiert über dieses Werk, vor allem betreffs der Heiterkeit einiger Stücke, denn das war mir neu. Der Rest erschien im ersten Moment sehr bekannt und somit Neubauten-mässig banal, doch je länger ich sie mir anhörte, desto mehr Vergnügen hatte ich an dieser CD. Das Repertoire an Klängen und Formen, das sich die Neubauten im Lauf vieler Jahre erarbeitet haben, wird hier erfolgreich angewendet. Und der schönste dieser Klänge ist Blixa Bargelds Stimme. Leider erzählt diese Stimme ziemlich viel Blech, zum Beispiel den nicht nachvollziehbaren Satz "Silence is sexy". Selbst wenn diese Behauptung sowieso blöde ist, erscheint sie aus dem Munde eines notorischen Ruhestörers extrem unglaubwürdig. Oder sollte es sich hier um Selbstironie handeln? Ich glaube eher, da will jemand, der sich nicht immer wiederholen möchte, einfach mal das Gegenteil von dem behaupten, was er meint, um nicht zu langweilen. Holt sich dazu das Wort sexy, das so lange schon da ist, das aber nie ein ernsthafter Künstler benutzte, weil Künstler immer nur von Sex selbst, oder gar von sexuellen Zwängen, Zwangsneurosen oder aber von Erotik, Romantik, Liebe reden; die Leichtigkeit, Beliebigkeit und Kommerzialität von sexy versuchten alle zu umgehen.
Aber jetzt, im neuen Jahrtausend, das viele von uns gar nicht zu erleben glaubten, weil wir von apokalyptischen Ängsten und Visionen getrieben wurden, setzt sich die Erkenntnis durch, dass das Leben gar nicht so schlimm ist, die Zeit heilt die Wunden der depressiven Pessimisten, die sich vor zwanzig Jahren ihre Zukunftsängste vom infernalischen Lärm der frühen Neubauten-LPs und anderer Quälgeister vertonen ließen. Doch heißt es nun nicht mehr "Hurra wir leben noch!", sondern "Mann, war das anstrengend, so alt zu werden, jetzt wollen wir doch noch ein bisschen Spaß haben."