[für BAD ALCHEMY #32/1998]

Dieser Mann ist ein Schelm. Ganz eindeutig. Hinter einer Wand aus Querverweisen auf zeitgenössische Kollegen wie Rihm, Killmeyer und Lachenmann verbirgt der Heidelberger Komponist, Pianist, Performer und Helmut-Krausser-Freund MORITZ EGGERT eine rotzfrech-lausbübische Art, Klischees Neuer Musik zu persiflieren. In seinen Linernotes spricht er zwar vornehm von "Selbstparodie", zu hören ist aber etwas ganz anderes: der 30jährige hat ganz einfach Spaß am Klanglichen, ist manchmal ein bisschen selbstverliebt und schert sich einen Dreck um die traditionelle intellektuelle Überfrachtung des von ihm gewählten Genres. Dementsprechend heiter-polternd geht es zu. Ich langweilte mich keine Sekunde. "Jerusalem" beispielsweise demonstriert einen spaßigen Rundlauf um den Konzertflügel, an dem der Performer schließlich wg. gewollter Unspielbarkeit scheitern muss: außer Atem. In "Mouth Organ" demonstriert Eggert in entwaffnender Virtuosität, was er als human beatbox zu leisten imstande ist. Klavier wird auf diesem Track übrigens nicht gespielt. "Über die ersten vier Töne von Lulu" erinnert mich stilistisch ein wenig an Klarenz Barlow und Walter Zimmermann, wie übrigens so manches im Hämmerklavier (Wergo WER 6611-2). Jean Paul schreibt in der "Vorschule der Ästhetik": "Die [...] Darstellung [...] durch die [...] Kontraste des Witzes [...] soll mit der Sinnlichkeit die Seele füllen und mit jenem Dithyrambus sie entflammen, welcher die im Hohlspiegel eckig und lang auseinandergehende Sinnenwelt gegen die Idee aufrichtet und sie ihr entgegenhält." Nun, für mich ist eindeutig, dass die Hohlspiegel dieser Musik Killmeyer (eckig) und Lachenmann (lang) heißen. Eggerts Musik ist auf subtile Weise rebellisch: sie ist immer auf der Suche nach ganzheitlichen Glücksmöglichkeiten, mitunter von enormer Sturheit und Eigenwilligkeit und doch stets verbindlich und greifbar. Eben von dieser Welt. Da macht es (fast) nix, wenn im Falsett vorgetragene Variationen über ein Lied Oum Kalsoums tierisch nerven und die Komposition "Geheimes Verlangen" lediglich jenes nach dem Drücken der Fast-Forward-Taste fördert. Insgesamt der Output einer dieser sorgsam geschulten, unverbraucht-scharfsinnigen Kreativlinge, von denen es immer zuwenige gibt und niemals genug geben kann. O-Ton Eggert: "An der Grenze zum Kindischen findet interessante Musik statt."