[für BAD ALCHEMY 38/2001]
Alle lieben MARILYN CRISPELL. Warum? Ist Sie eine Re-Inkarnation Cecil Taylors als weiße Frau? Bewahrerin des schwarzen FreeJazzPiano-Erbes oder dessen Erneuerin im Geiste schwärmerischer englischer "Wuthering Heights"-Romantik? Oder einfach nur Epigonin, spätgeborene Nachahmerin dessen, was im Village Vanguard 1961 als "unhörbar" galt? - Von allem etwas und doch noch ein bisschen mehr, wie die Doppel-CD Selected Works (1983-1986) (Leo Records GY 11/12) beweist. Ich bespreche hier nur die ersten 50 Minuten Solo-Arbeit. Sofort überzeugt mich der permanente Fluss von Crispells Spiel, der tatsächlich niemals, ich wiederhole: niemals versiegt, aber auch niemals in bloßes eitles pianistisches Geplätscher ausufert. Crispells Arbeitsethos ist von erhabener Größe, ihre Imaginationskraft scheinbar grenzenlos, ihre Energie unerschöpflich. Sicherlich hat sie nicht den brutalen Anschlag van Hoves, die Explosivität von Schlippenbachs oder gar die katzenhafte Un-Greifbarkeit Taylors, aber dafür ist sie eben: Marilyn Crispell. Ihr Spiel auf diesen nun auch schon fast 20 Jahre alten Aufnahmen ist stets klar und überlegt und doch voller Verve und Inspiration, dabei stilistisch innerhalb des Genres vollkommen eigenständig und entwickelt. Angenehmerweise kommt Crispell ganz ohne Manierismen und Zwanghaftigkeiten aus, es fließt ganz einfach nur so aus ihr heraus.