Stefan Hetzel

Komponieren heute

Stand: 2013-02-10

Technologie ist die beste Freundin des Komponisten

Eine, zugegeben, mitunter etwas zickige, weil eigenwillige Freundin, die immer erst mal versucht, mir ihre oft stumpfsinnige Eigenlogik aufzuzwingen. Deshalb muss ich öfter mal ein wenig grob mit ihr umgehen sie wird mir sonst zu dominant und ich fühle mich unfrei.

Sie zwingt mir ihren Willen auf, weil sie blind ist für ihren Eigenwert. Immerhin das hat sie mit mir gemeinsam.

Kompositionen, die sich der Technologie andienen, empfinde ich als langweilig. Man erkennt sie daran, dass der Komponist die Anwendung der jeweiligen Technologie makellos beherrscht. Gerade dann jedoch ist er nicht im Dialog mit ihr, sondern unterwirft sich lediglich ihrer diktatorischen Eigenlogik. Statt das Benutzerhandbuch der Software in die Ecke zu pfeffern, koloriert er es brav aus, in zarten, unterwürfigen Pastelltönen.

Technologie ist janusköpfig: Sie kann eine freundliche, einladende Ermöglicherin sein, aber auch eine ätzende Zeitfresserin.

Es kommt darauf an, sich von den besten Seiten dieser besten Freundin inspirieren zu lassen, ohne ihren Verführungskünsten zu verfallen. Am besten, man bindet sich, wie Odysseus, an den Mast, bevor man dem Gesang der Sirenen lauscht.

Die Eigenlogik der Technologie ist nicht die des komponierenden Subjekts obwohl jegliche Technologie natürlich, letztlich, ebenfalls von Subjekten erschaffen wurde: Ingenieuren, Informatikern, Programmierern bzw. Musikern und Komponisten. Die Auseinandersetzung mit Technologie ist nichts anderes als ein asymmetrischer, vermittelter Dialog mit diesen Subjekten.

Komponieren heißt Improvisieren

Natürlich ist Improvisation der Masturbation eng verwandt wer sich nicht gern selbst stimulierend berührt, wird sie also ablehnen müssen.

Improvisation, also das zunächst ungerichtete Strömenlassen musikalischer Ideen am Instrument in Echtzeit, ist eine Ausgangsmöglichkeit, zu subjektiv gültigen kompositorischen Aussagen zu kommen. Improvisation allein, so meine Erfahrung, kann jedoch das Komponieren, also das Verfertigen musikalischer Objekte in Nicht-Echtzeit, nicht vollständig ersetzen. Allerdings gibt es Grenzfälle, wo das Ergebnis einer besonders gelungenen Improvisation "einfach" im Nachhinein zur Komposition erklärt werden kann, was dann ein Glücksfall ist, ein Geschenk der Evolution sozusagen. Im Regelfall jedoch untersuche ich meine Improvisationen wie etwas möglichst Fremdes, streiche, stelle um, verbessere etc. Irgendwann wird dann eine Komposition daraus und zwar exakt dann, wenn mich nichts mehr daran stört.

Mit anderen auf Augenhöhe, d. h. ohne Vorstrukturierungen, zu improvisieren heißt, ein Gespräch zu führen, ohne Sprache zu verwenden. Deshalb ist das nachträgliche Sprechen über Erfahrungen beim gemeinsamen Improvisieren auch oft so unergiebig und zwar gerade dann, wenn die Improvisation gut war! Was da "abging", lässt sich eben gerade nicht im Medium der Sprache artikulieren. Selbst wenn ich allein improvisiere und scheinbar nur meinen eigenen Impulsen folge, bin ich im Dialog mit allen MusikerInnen, durch die ich mich habe beeinflussen lassen auch mit denen, die ich nur durch ihre Ton-Aufnahmen kennengelernt habe. Die egozentrische "Masturbationstechnik" Improvisation erweist sich also als dialogische.

Auch den ausprobierenden Umgang mit Technologie nenne ich Improvisation. Algorithmische Kompositionsprogramme bzw. -verfahren dazu zähle ich auch Einfacheres, wie etwa Effektgeräte liefern Klangmaterial, dass in seiner "unkünstlerischen" Eigenlogik dennoch vom komponierenden Subjekt ernst genommen werden muss. Warum? Weil Algorithmen, also Rechenregeln, die Welt des 21. Jahrhunderts vormischen. Google ist nichts als ein Algorithmus. Die Auseinandersetzung mit Klang vormischenden Algorithmen ist also nicht Zeichen von Weltfremdheit, sondern von Realismus.

Das Problem bei dieser Form der Improvisation ist die Unpersönlichkeit ihrer Rohdaten. Die Ausgangslage ist exakt umgekehrt zu der bei den Rohdaten der Instrumentalimprovisation. Wo diese belanglos, weil "nur" subjektiv empfunden erscheinen können, wirken jene zunächst oft krude, weil sie lediglich Output einer Rechenregel sind, die ja zumeist nicht einmal vom mir formuliert wurde. Die künstlerische Arbeit besteht dann darin, sich dieses krude Material wieder anzuverwandeln. Konkret heißt das dann wieder: Streichen, Umstellen, Verbessern bis mich auch hier am Ergebnis nichts mehr stört. Das kann aber dauern.

Komponieren heißt, "Ich" sagen wollen...

...und das ist schwer geworden im 21. Jahrhundert. "Ich" sagen heißt ja, eine subjektive, angreifbare, eventuell falsche Aussage zur Diskussion zu stellen. Je höher der Grad meiner Bildung, desto zögerlicher vermag ich, "Ich" zu sagen wenn ich denn ernst genommen werden will. Zuviel spricht gegen dieses "Ich": die Erkenntnisse der Psychoanalyse, der Neurowissenschaften, der soziologischen Systemtheorie, sowie sämtliche Medientheorien. Das Ich ist nicht nur nicht Herr im eigenen Hause, es klopft sozusagen nur noch gelegentlich schüchtern von außen an und bittet bescheiden um Einlass.

Wer komponiert, sagt "Ich". Er traut seinen persönlichen Ausdrucksmöglichkeiten in ihrer Beschränktheit, ihrer Falschheit, ihrer Blödsinnigkeit. Wer komponiert, ist ein "Idiot" (im Sinne Dostojewskis).

Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Antiquiertheit des ernsthaften Ichsagens erkenne ich als gegeben an und versuche, sie beim Komponieren mitzudenken. Mit meinem Widerspruch gegen 3 populäre Aussagen über das Komponieren heute möchte ich diese Position näher erläutern:

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