Anja Dyes

Pussy Deluxe

Ich stehe im Douglas im Wöhrlhaus, come in and find out, kommen Sie rein und finden Sie wieder heraus und sehe Pussy. Pussy Deluxe. Pussy Deluxe zieht mich immer näher. Pussy ist eine Handtasche und ich muss sie haben. Unbedingt. Pussy kostet 40 Euro, das sind 500 Pfandflaschen zu 8 Cent. Pfandflaschen, die ich erstmal sammeln muss. Aber mal unter uns: 500 Bierflaschen in einem Monat oder gar in zwei Wochen oder sofort, das ist kaum zu schaffen, das wären mindestens 17 Bierflaschen am Tag, also bei aller Liebe. Eher in anderthalb Monaten. Aber dann ist Pussy vielleicht nicht mehr da. Hat sich einer anderen an den Arm gehängt.

Pussy ist nicht das einzige, das ich haben will. Da wäre noch die Pradatasche aus dem Secondhandshop zu 200 Euro (2.500 Bierflaschen), die Korallenohrringe bei Guttenhöfer (auch 2.500 Pfandflaschen) und diverse andere Kleinigkeiten wie eine Oilily-Einkaufstasche, die sich mit 15 Euro gleich 187,5 Pfandflaschen sogar noch bescheiden ausnimmt. Meistens finde ich Bierflaschen, Dosenpfland ist selten und mehr als die Hälfte aller herumliegenden Petflaschen sind pfandfrei. Ich frage mich dann immer, warum die Leute das wegschmeißen. Also das Pfandgut. Habgier ist eine Todsünde steht in der Bibel, aber das ist heute egal.

Arme Leute sollten nicht in die Stadt gehen. Ich gehe aber immer in die Stadt, zu H&M, O-Ton:“Hier geht niemand ohne eine Tüte raus!“ Ich gehe bei H&M auch nie ohne eine Tüte raus, leider.

Ich bin wahrscheinlich kaufsüchtig. Pussy ist die Spitze eines Shopping-Eisbergs, den ich mir lieber nicht zu genau anschaue. Mir könnte sonst schlecht werden. Wenn ich meinen Kleiderschrank öffne und darin die vielen in kleine Säckchen und Schächtelchen verpackten Geschmücker ansehe, dann wird mir schon schlecht. Schlecht wie schlechtes Gewissen. Ich versuche, die sämtlichen Geschmücker in Pfandflaschen umzurechnen und mir wird noch schlechter. Also versuche ich es erst gar nicht. Der Gegenwert entspräche wahrscheinlich einer Jahresproduktion von 15.000 aus dem Gebüsch oder aus dem Mülleimer geklaubter Pfandflaschen, ich bin nicht wählerisch, sondern nehme, was ich kriegen kann. Und dann die Handtaschen. Ich mache den Schrank wieder zu und versuche, das Ganze zu vergessen. Wann ich das alles jemals anziehen soll, ist mir schleierhaft. Vielleicht werde ich ja 80. Aber bis dahin habe ich wahrscheinlich einen ganzen Schrank voll Schmuck und nicht nur ein Regal.

Und dann die Blicke. Die Blicke derer, die mich dabei erwischen, wie ich eine Bierflasche aus dem Gebüsch zerre, den Rest Flüssigkeit im Gebüsch ausleere und die Flasche in meine Baumwolltasche stecke, die Oilily- Einkaufstasche wäre mir zu schade dafür. Die Blicke stammen von Leuten, die "es nicht nötig haben", aber wahrscheinlich haben sie es noch nötiger als ich, aber das wollen sie nicht zugeben. Lieber überziehen sie ihr Bankkonto, bis es gesperrt wird. Und dann gehen sie in die Kaiserstraße zu Fortis Credit for me, wo das Motto lautet: "Das Geld liegt nicht auf der Straße, holen Sie es sich hier." Geld ist eine heißumkämpfte Ware.

Natürlich schäme ich mich ein bisschen oder auch ein bisschen viel. Vielleicht sollte ich mir einen Job suchen, aber den gibt's auch nicht auf der Straße. Wenn ich das schon höre: wir sind ein dynamisches, aufstrebendes, expandierendes, erfolgreiches Jungunternehmen und suchen einen jungen, aufstebenden, expandierenden erfolgreichen Mitarbeiter oder ebensolche Mitarbeiterin für unser junges dynamisches Team. Wir haben einen Job für Sie!!!!! Irgendwo habe ich mal gelesen: team spirit means mob mentality. Sind Sie an einem jungen, dynamischen Team in einem aufstrebenden, jungen Unternehmen interessiert? Wir haben einen Job für Sie! Ja ich weiß schon, im Callcenter wahrscheinlich, wo man nie durchkommt und immer in der Warteschleife hängt, um dann irgendeine Wischiwaschiauskunft zu erhalten, die nur erfunden worden sind, um die Firmen vor dem Zorn ihrer Kunden zu schützen.

Nach ein paar Tagen gehe ich nochmal zu come in and find out und Pussy hängt noch da. Ich öffne sie und schaue in ihr sündiges Inneres. Sie sieht von innen aus wie ein Mensch von innen, blutrotes Futter mit schwarzen Punkten, drei Öffnungen wie zwei Beine und eine Vagina. Ich greife hinein und fasse ins Bodenlose. Es gibt keinen Zweifel: Pussy Deluxe ist wie ich, ich bin Pussy Deluxe, also her mit der Tasche. Ich betrachte ihr rosabraunes Äußeres, braune Katzen auf rosa Grund, Schleifchen und ein Band ringsherum auf dem luxury steht. Ich muss an meine Yuppiefreundin Angelika aus den 80er-Jahren denken. Überhaupt die 80er. Luxury. Always believe in Gold. Ich schleife Pussy zur Kasse und kaufe sie, ohne weiter darüber nachzudenken, bekomme sogar noch 5% Nachlass, weil sie oben ein ganz klein wenig beschmutzt ist. Ja, Pussy ist nicht gerade die unbefleckte Empfängnis. Sie ist sehr diesseitig. So wie ich. Pussy ist wie Gucci, Pucci, Fiorucci und was lacostet die Welt, Geld spielt keine Rolex.

Zuhause angekommen, packe ich sie aus ihrer blauen Tüte aus und begutachte sie von allen Seiten. Pussy ist sexy. Sie regt meine diesseitige Phantasie an, die auch nicht gerade unbefleckt ist. Der Griff in ihre rote Vagina fühlt sich sehr sündig an und ich frage mich, was sich der Erfinder von Pussy dabei gedacht hat. Am liebsten würde ich da hineinkriechen und nicht mehr raus. Sie erscheint mir wie ein ideales Versteck vor der Welt da draussen, die über alles, was ich mache, die Nase rümpft. Nicht nur über die Pfandflaschen, sondern auch generell über mich. Wie ich mich anziehe und weil ich mache, was ich will. Vor allem Männer. Sie rufen "Eh du, 50 Kilo Schminke!" - "Ay, das ist meine Traumfrau, die Frau meiner schlaflosen Nächte!" Vielleicht stimmt es ja sogar. Die Männer, die bei mir nicht reindürfen, nicht in 1.000 Jahren und wenn sie die letzten Männer auf Erden wären, bei mir ist der Zugang gesperrt, no trespassing, please. Das wissen die natürlich, dass sie draußen bleiben müssen, deshalb setzen sie sich vor's kleine Hofbräu und lassen sich schon am Nachmittag volllaufen. Und wenn das Geld ausgegangen ist, rufen sie ihre Frau an und bestellen Nachschub.

Da vergnüge ich mich lieber mit Pussy Deluxe. Ich greife jetzt in eines ihrer zwei Beine und überlege, wo und wie ich meine Sachen darin unterbringe. Wahrscheinlich finde ich nichts mehr, weil ich vergessen habe, in welchem Bein mein Geldbeutel steckt und was in der Vagina ist und wo der Schlüssel steckt, aber dafür gibt es ein Extrafach. Für den Schlüssel meine ich, den ich alle paar Minuten panisch suche, und sogar fürs Handy. Später wird sich herausstellen, dass das Handyfach zu klein ist, denn als ich mein klingelndes Mobiltelefon auspacken will, muss ich zerren und töte dabei das Handy und der Anruf geht verloren.

Ich stelle mir vor, wie ich Sex mit ihr habe und dabei die kleinen aufgemalten Kätzchen schnurren und maunzen. Vielleicht erwachen sie alle zum Leben dabei und es gibt ein kleines Maunzkonzert. Schade, dass ich keinen Penis habe, also muss es bei der Vorstellung bleiben. Außerdem muss Pussy ja einverstanden sein, sonst ist es Vergewaltigung. Aber Pussy ist gutmütig und versteht Spaß. Sie wäre einem kleinen Fick sicher nicht abgeneigt. Pussy ist gutmütiger als ich und versteht mehr Spaß, vielleicht kann ich ja etwas von ihr lernen. Dann haben sich sogar die 500 Pfandflaschen gelohnt, die ich unter den schelen Blicken und Bemerkungen meiner Mitmenschen aufsammele, um etwas wie Pussy zu erwerben, die mir zeigt, was möglich ist.

Lektorat: Stefan Hetzel