[für BAD ALCHEMY 33/1999]

Der flämische Pianist FRED VAN HOVE gehört zu den Pionieren der Improvisierten Musik Europas. Mit Flux (Potlatch P2398) legt er nun ein wahrhaftes opus magnum dieses Genres vor. Und das ganz alleine auf dem Yamaha-Flügel. Track Eins dauert ein knappes Stündchen, bei Track Zwei begnügt sich der Meister dann mit etwa 45 Minuten. Ein Vergleich: Alexander von Schlippenbach nahm im Februar 1977, also vor über 20 Jahren, seine "Piano Solo"-LP auf, die "Flux" in nichts nachsteht. Es ist alles da: die exzessive Körperlichkeit (man könnte geradezu von "physizistischer" Spielkultur sprechen), der Drang zu großen Formaten (würde man in der Malerei sagen), eine Verabsolutierung pianistischer écriture automatique als Quelle jeglicher Inspiration, eine alles grundierende attitude positiver Aggressivität und Frechheit. Unterschiede zwischen van H. und von Sch. gibts lediglich in Details, die nun wirklich nur Pianisten interessieren: van Hove hat die bessere Technik, von Schlippenbach den rabiateren Anschlag etc. - Mir kommt der leicht zu missbrauchende Begriff "Meisterwerk" nicht allzu oft über die Lippen, aber hier handelt es sich zweifelsohne wohl um ein solches. Erkennen können das, mit Verlaub, aber nur Hörerinnen und Hörer, die mit der Ästhetik der Improvisierten Musik auf dem Konzertflügel seit, na, sagen wir mal, den späten 50er Jahren vertraut sind und ihre/n Cecil Taylor, Don Pullen, von Schlippenbach, Irène Schweizer, Georg Gräwe oder Marilyn Crispell studiert und verstanden haben. Innerhalb dieser Ästhetik ist van Hove ein Meisterwerk gelungen. Aspekte, die über diese Ästhetik hinausweisen, vermag ich nicht zu erkennen. - Van Hove befindet sich in der Rolle des späten Bach, der seine brillantesten Polyphonien zu einer Zeit niederschrieb, als sich die musikalische Avantgarde längst schon auf den melodischen Klassizismus der Mannheimer Schule verlagert hatte: er kommt gewaltig, aber zu spät. [Bezugsadresse: Potlatch, BP 205, 75921 Paris Cedex 19, France]