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Stefan Hetzel | Klanginstallationen



Konzept

Klanginstallationen beschäftigen mich seit Mitte der 1990er-Jahre. Ich verstehe hierunter die Erabeitung einer sonischen Textur für einen bestimmten Raum, die auch als autonome Musik gehört werden kann. Mit welchen technischen Hilfsmitteln diese Textur im Raum installiert wird, d. h. welche und wieviele Lautsprecher welcher Qualität wo angebracht werden, ist dabei zweitrangig bzw. unterliegt der pragmatischen Devise: je mehr, je besser.

Mein zugrundeliegendes ästhetisches Konzept lässt sich als Akustisches Mobile beschreiben. Der von Marcel Duchamp geprägte Begriff Mobile bezeichnet eine frei hängende, ausbalancierte, leichte Plastik, die schon von einem schwachem Luftzug in Bewgung gebracht werden kann. Die bis heute bekanntesten Mobiles stammen von dem Bildhauer Alexander Calder, der das Konzept einmal so beschrieb: "Warum nicht plastische Formen in Bewegung? Nicht einfach übersetzte oder rotierende Bewegung, sondern verschiedene Bewegungen von unterschiedlicher Art, Geschwindigkeit und Reichweite untereinander kombiniert, ergeben ein Ganzes. So wie man Farben oder Formen komponieren kann, so kann man auch Bewegungen komponieren." ... erst recht aber Klang-Objekte, Klang-Texturen, musikalische Zellen, Sounds und Klangflächen, möchte ich ergänzen.

calder

Fluctin bzw. Prozac war das erste Medikament der neuen Antidepressiva-Generation der sog. Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Es wurde nach seiner Einführung 1987 als Wundermittel gefeiert und galt wegen seiner antriebssteigernden Wirkung rasch als Yuppie-Droge. Die Popularität des Medikaments ist ungebrochen, allein in den USA gab es im Jahr 2016 über 23 Millionen Verschreibungen.

Die Fluctin-Installationen sollen, ganz wie die wundersame Arzenei, die Stimmung der Hörerin aufhellen, einen Fluss herstellen bzw. wiederherstellen, wo bisher Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Zwänge, Stocken, Hemmung und Leere dominieren. Kurz, sie mögen als aurale Krücken dienen, die einem ausgebrannten Geist wieder auf die Beine helfen.

Ob sie diesen aber damit wirklich wieder zu sich selbst oder lediglich in neue Formen der Entfremdung und Abhängigkeit führen, muss offen bleiben.

S.H. im März 2007, rev. September 2019


Projekte


Fluctin 06 (Residenz Würzburg) ...

... ist eine Koproduktion mit Oliver Wiener:

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Soundhouse Prichsenstadt (Fluctin 05)

Soundhouse Prichsenstadt (Fluctin 05)

Leerstehende Wohnung,
Karlsplatz 13, Prichsenstadt

18. - 20. April 2008

Fünf Räume im Erdgeschoss wurden mit von Jochen Kleinhenz konstruierten monophonen Klangwürfeln beschallt. Jedem Raum/Würfel wurde ein Klangmodul zugeordnet, dessen Basismaterial ich durch das "Bespielen" von Alltagsgegenständen und das Abhören von Alltagsgeräuschen im Haus gewann.

Rost Fenster Dusche Schublade Klo Klangwuerfel
Die 5 Klangwürfel, die Jochen Kleinhenz für «Soundhouse Prichsenstadt (Fluctin 05)» baute, im Einsatz am 18. April 2008

Die Aufnahmen entstanden einige Wochen vor Installationsbeginn und wurden von Jochen Kleinhenz auf MiniDisk erstellt. "Bespielt" habe ich ein Tischbein, eine Ofentür, einen Herdrost und einen Lampenschirm. Abgehört wurden Wassergeräusche in einer Dachrinne vor dem Küchenfenster und im Waschbecken des Badezimmers. Die Arbeit entstand im Rahmen der "Kulturstationen 2008" des Landkreises Kitzingen, bei dem ich an dieser Stelle für die Unterstützung herzlich bedanken möchte!

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Fluctin 04 (Spitäle Würzburg)

Fluctin 04 (Spitäle Würzburg)

Spitäle Ausstellungsgalerie,
Zeller Str. 1, Würzburg

1. - 30. Dezember 2007

Fluction 04 entstand für die Winterausstellung 2007 der Vereinigung Kunstschaffender Unterfrankens und gewinnt sein gesamtes akustisches Material aus Aufnahmen geistlicher Vokalwerke des franko-flämischen Renaissance-Komponisten Johannes Ockeghem, der 1497, also drei Jahre nach Stifung des Spitäles durch Abt Johann von Allendorf, im französischen Tours starb. Mir ist nicht bekannt, ob jemals Werke dieses Komponisten in der damaligen Hofspitalkirche "Zu den 14 Nothelfern" gesungen wurden, doch war Ockeghem sicher einer der bedeutendsten europäischen Tonsetzer zur Entstehungszeit des Gebäudes. Mich begeistert an Ockeghem vor allem die Unberechenbarkeit und teilweise exzentrische Schönheit seiner Musik, deren mitunter herbe Harmonik durchaus weit vom Mainstream der Zeit abweicht. "Fluctin 04" besteht aus über einem Dutzend Klangschleifen zwischen einer und 20 Minuten Dauer, die so in ein Zeitraster gespannt werden, dass sich unendlich viele Variationen des Zusammenklangs ergeben. Die Charakteristik der Klangschleifen reicht vom nahezu unbearbeiteten Ockeghem-Zitat zur fast völligen Unkenntlichmachung des Ausgangsmaterials durch elektroakustische Bearbeitung. So entsteht ein mal dichter, mal lockerer gewebter Teppich aus Klängen - ohne Anfang, ohne Ende.

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Fluctin 03 (Maintor Marktbreit)

Fluctin 03 (Maintor Marktbreit)

Torbogen des Maintors,
Marktstr. 4, Marktbreit

20. - 22. April 2007

Fluctin 03 war eine Auftragsarbeit der "Kulturstationen 2007" des Landkreises Kitzingen. Als Klangmaterial schöpfte ich hierbei aus zwei ganz unterschiedlichen Quellen: Einerseits generierte ich software-unterstützt eine Textur an- und abschwellender Sinustöne, die den gesamten menschlichen Hörbereich umfasst. Deren Harmonik ist mikrotonal, d. h. die wahrnehmbaren Tonhöhen beschränken sich nicht auf die 12 Töne der Oktave, sondern können auch überall dazwischen liegen. Weiterhin wurden aus den gleichen Sinustönen mit Hilfe eines Granluarsynthesizers mehrere Klang-Objekte von unterschiedlicher Dauer geschaffen, die nach dem Prinzip des Akustischen Mobiles während des Stücks auftauchen und zyklisch wiederkehren (oder auch nicht). Anderseits benutzte ich meine Tonaufnahme des Autoverkehrs im Marktbreiter Maintor vom verregneten 14. Februar 2007, die ebenfalls granularsynthetisch choreographiert wurde. Ausführlichere Erläuterungen zu dieser Arbeit finden sich hier.

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Fluctin 02 (Moabit)

Fluctin 02 (Berlin-Moabit, Emdener Str. 1)

Leerstehendes Ladenlokal,
Emdener Str. 1, Berlin-Moabit

8. - 10. April 2005

Fluctin 02 wurde als Teil der Rauminstallation "Die wohltuende Wechselwirkung zwischen Ruhe und Bewegung" in Zusammenarbeit mit Eka Orba (Malerei) und Ralf C. Schuster (Video) konzipiert. Diese war Teil des Stadtteil-Events 720° Raum-Hopping, den Raimund Binder und Patrick Timm im April 2005 in Berlin-Moabit veranstalteten.

720
«Fluctin 02 (Moabit)» während der Aufbauphase, 8. April 2005

Ich erarbeitete die Komposition am Rechner mit einem herkömmlichen Sequencer unter Verwendung stark personalisierter Synthesizer-Klänge aus dem Fundus des Edirol SD-90 StudioCanvas. Die harmonische Wirkung entsteht durch die ausschließliche Verwendung terz- und quintgeschichteter Akkorde.

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